Sonntagsarabesken #128

Warum quälst Du mich? Warum quäle ich mich selbst? Wie ein Verrückter renne ich durch die sommerschwülen Gassen, zwischen den Gitterstäben meines gläsernen Käfigs gefangen. Ich habe alles Verlorene wieder gefunden geglaubt; doch der Sand des Glücks ist im Stundenglas verronnen, unerbittlich. Tage schwinden dahin, unter den Augen eines mächtigen Gottes, eines Gottes der Liebe, der mir alles gegeben und wieder genommen hat. Nie zuvor, nie wieder. Der Schatten Deines Lächelns berührt mein von Fieber getrübtes Auge. Ein Traum. Ein wunderschöner Traum: Schmetterling, bunte Hülle, die sich um mein Bewußtsein gelegt hat, Kaleidoskop des Möglichen, Panoptikum des süßen Schreckens. Der Sonnenstrahl eines einzigen Deiner Blicke könnte den stürmischen Schmerz in meiner Brust vertreiben. Doch Du bemerkst mich nicht. Bist an mir vorbei gegangen, auf dem Blütenteppich, den man vor Dir ausgestreut hat. Am Arm eines Anderen. Im Herzen eines Diebes, der Dich, meinen größten Schatz, zu rauben wagte. Eifersucht bohrt sich von tief unten durch die rissige Oberfläche meines nur scheinbar gesunden Verstandes. Das Bild beginnt zu bröckeln. Unwahres und Unwirkliches, Wahrscheinliches und Tatsächliches überkreuzen sich, schieben sich in transparenten Flächen übereinander, wie in einem gigantischen Spiegelkabinett. Ich sehe mein von Haß verzerrtes Gesicht und schäme mich, fühle Ekel vor mir selbst. Du? Du schreitest weiter den Weg entlang, erhobenen Hauptes, mich im selben Maße ignorierend wie ich nur einen Funken Deiner Aufmerksamkeit ersehne. Gedämpfte Musik. Ein mechanisches Klavier, das dem sanft wirbelnden Zigarettenrauch den Walzertakt schlägt. Du wirst Dich nicht an diesen Tag erinnern. Nicht jetzt und nicht in ein paar Jahren, wenn wir uns wiedersehen. Denn Du hast ihn nicht erlebt. Bist mir gegenüber gesessen, doch abwesend, an mir vorbei zum Ausgang starrend, den Uhrzeiger mit den Augen beschleunigend, die Mitternachtsstunde und damit das Ende unseres Gesprächs herbeiwünschend. Dann, später, zwischen den zerwühlten dünnen Laken liegend, magst Du auf die schwarze Decke geblickt haben, Dir das Haar aus dem Gesicht streichend, mit den eigenen Fingern Deine Wange liebkosend, an ihn denkend, den Fernen, und schon wird die flüchtige Stunde mit mir aus Deinem Gedächtnis verschwunden gewesen sein. Ich lehne mich schnaufend, um Atem ringend an die kalten Steine der Hauseinfahrt. Mir ist übel. Brechreiz. Ich habe es begriffen. Du quälst mich nicht. Du hast mich einfach vergessen.