Die Neue Zürcher Zeitung hat vor einiger Zeit über einen Schüler berichtet, der bei seiner Deutsch-Matura die Bestnote erzielt hat, ohne jemals gelesen zu haben, was geprüft wurde. Beim ersten Artikel zum Thema lese ich zwischen den Zeilen noch ein neidvolles Bewundern des Autors mit, wie es dem Schüler unter Zuhilfenahme der KI mit so beneidenswerter Effizienz gelungen ist, eine Bestleistung zu erzielen. Beim zweiten Artikel, gerade Mal zwei Monate später, sieht derselbe Autor die Begeisterung für KI an den Grundpfeilern gymnasialer Bildung rühren und fordert die Schulen auf, das nicht hinzunehmen. Es ist erstaunlich, was man in den beiden Artikeln über das systematische und wirklich professionelle Vorgehen des Schülers zu lesen bekommt und ich empfehle besonders denjenigen, die KI instinktiv ablehnen, gleichzeitig aber das gegenwärtige Ausbildungssystem massiv kritisieren, beide Beiträge zu lesen.
Je länger die Lektüre der beiden Artikeln in mir wirkt, umso mehr erkenne ich in ihnen die von Neid und dem Wissen, die technische Kompetenz, die der Schüler einfach so an den Tag gelegt hat, nie erreichen zu können, geprägte Angst, in Bälde mit einer Generation von Menschen gleichauf zu sein, für die der Leidensweg, den man selbst zurücklegen musste, und für den man Wochen, wenn nicht Monate oder gar Jahre seines Lebens geopfert hat, keiner war, da sie die gleiche, für den beruflichen oder sonst einer Kategorie zugeordneten Aufstieg notwendige Arbeit in wenigen Tagen, wenn nicht gar Stunden mithilfe von KI erledigt haben. In weit weniger Worten: Hier spricht die unvermeidbare Enttäuschung einer Person, die sieht, wie leicht, schnell und effizient heute geht, was sie noch Unmengen an Zeit und Mühen gekostet hat. Es ist dieselbe Enttäuschung, die man empfindet, wenn man die Längsseite eines LKWs bereits hinter sich gelassen und zum Abbiegen auf die kurze Seite angesetzt hat, nun aber vor einer großen, leeren Fläche steht, weil das Fahrzeug, das eben noch den Weg auf die andere Straßenseite blockierte, früher weggefahren ist als man dachte. Man kann sich nicht ärgern, man hätte es nicht besser machen können, und trotzdem hat man mehr Meter zurückgelegt als nötig.
Und viele der wenigen Lehrerinnen und Lehrer, die ich kenne, holen sich die Schularbeits- und Maturafragen auch von Chat-GPT. Ich habe also nichts dagegen einzuwenden, dass sich zwei Chat-GPT-Bots vermittels Lehrer und Schüler miteinander unterhalten.