Gängigkeit von E-Mails wird zum Problem

Mike Kuketz fragt sich auf Mastodon, wie es sein kann, dass E-Mails nicht mehr als "niedrigschwellig und gängig" gelten. Die Antwort liegt auf der Hand, ist aber ganz woanders angesiedelt als ihr alle glaubt.

Was hier, eingepackt in eine Menge Ironie, gesagt und wie, verwundert und geprellt, auf Mastodon darauf reagiert wird, zeigt mir, dass E-Mails zum Problem werden. Ja, richtig gelesen: Das Verfassen und korrekte Versenden einer E-Mail wird zum Problem. E-Mails werden nicht mehr als „gängig und niedrigschwellig“ wahrgenommen.

In ihrem Ehrenamt seien [Schülervertreter] darauf angewiesen, niedrigschwellig und zeitgemäß kommunizieren zu dürfen, um den Kontakt zu Mitschülern halten zu können. Für zahlreiche Jugendliche sei es genauso abwegig, sich per Mail an die Vertretung zu wenden, wie eine Flaschenpost zu schreiben. Eine E-Mail oder auch ein Newsletter sind nach Meinung der Schülervertreter kein gängiges und niedrigschwelliges Kommunikationsmittel innerhalb ihrer Generation.

NDR

Mike Kuketz kann die Aussage nicht verstehen, fragt auf Mastodon nach und bekommt etliche Beispiele präsentiert, die das, was die Schülervertreter oben beschreiben, als Praxis auch in vielen anderen Bereichen – teilweise weit weg von „Jugend“ – bestätigen.

E-Mail nicht niederschwellig genug? Habe ich etwas verpasst? Das ist vergleichbar mit dem Austausch von Telefonnummern oder Account-Namen in sozialen Netzwerken. Was lehrt uns das? Es kann gar nicht genug Aufklärungsarbeit im digitalen Bereich geben.

Mike Kuketz

Und beispielhaft eine der Antworten:

E-Mail ist halt auch eher wie Fax, ein Medium dass [sic!] immer mehr an Bedeutung verliert. War halt mal in den 90ern und Anfang der 200er [sic!] hipp, aber wer zur Hölle verwendet das heute noch im privaten? Selbst auf der Arbeit geht man, soweit möglich, ja immer weiter von E-Mails weg und die älteren Semester fallen gerade dadurch auf, dass sie noch häufiger E-Mails schreiben.

Mono

Ob wir wollen oder nicht, E-Mails werden früher oder später zum Problem werden. Nicht etwa als Medium an sich und ich glaube auch nicht, weil sie eben nicht „niedrigschwellig“ sind, sondern, weil schlichtweg sehr viele, bevor sie ein E-Mail schreiben, eine Nachricht über WhatsApp, Signal, Telegram, Threema oder über sonst einen Messenger versenden. Das Kriterium „gängig“ der eingangs erwähnten Kritik ist damit erfüllt.

Im Schreiben von E-Mails sind die Menschen nicht mehr geübt, die Tätigkeit hat immer noch einen offiziellen Charakter, egal, an wen die E-Mail adressiert ist. (Wer’s nicht glaubt, soll sich überlegen, wie es sich anfühlen würde, einem engen Freund ein E-Mail zu schreiben und nicht kurz über einen Messenger nachzufragen, ob er heute Lust auf einen Kaffee am Nachmittag hätte.) Nachrichten werden zig Mal am Tag geschrieben und gelesen. Die Integration in die jeweiligen mobilen Betriebssysteme ist hervorragend. Menschen können ohne viel Aufwand Telefonieren, Videotelefonieren und Bilder verschicken.

Also warum diese eine App starten, bei der man irgendwelche Posteingangs- oder Postausgangsserver eingeben muss und, oh mein Gott!, Zertifikate, Ports und andere Dinge konfigurieren muss. WhatsApp, Signal und sonstige Messenger benötigen gerademal die Telefonnummer. Das ist in Sekunden eingerichtet. Das gelingt sogar denjenigen, die mit allen anderen technischen Anforderungen nichts am Hut haben. Oder haben wollen.

Wir, also die Generation, für die Begriffe wie IMAP, POP und SMTP fast schon geläufig waren (und sind), treten langsam zurück und diejenigen, die es als nicht mehr nötig erachten, den systemnahen Bezug zu den technischen Grundlagen der Kommunikation zu verstehen, weil diese Dinge genauso Selbstverständlichkeit sind wie Wasser aus der Wasserleitung und Strom aus der Steckdose, in den Vordergrund. Sie, die nicht mehr mit schweren PCs und kantigen Laptops, sondern mit ultraleichten und leistungsstarken Smartphones aufgewachsen sind, haben sich für die gut in die jeweiligen Betriebssysteme integrierten Messengerdienste entschieden. Das ist das Kommunikationstools unserer Nachfolger.

Wenn Mike Kuketz also in seinem Beitrag auf Mastodon fragt, ob er „etwas verpasst“ habe, weil „E-Mails nicht niederschwellig genug“ seien, uns dabei in Wirklichkeit aber seine Kompetenz in der Einrichtung, Nutzung und Bedienung gängiger E-Mailsysteme mitteilt und das mit dem Zusatz „Es kann gar nicht genug Aufklärungsarbeit im digitalen Bereich geben“ bestärkt, dann ist die Antwort auf die rhetorische Frage dennoch ein klares Ja. Ja, Mike Kuketz, ob wir es wollen oder nicht – ich wähle bewusst das Wir, denn ich sehe mich selbst als Adressaten dessen, was jetzt kommt – wir haben etwas verpasst. Den Wechsel von einer Generation der Kommunikation zur nächsten und übernächsten. So wie wir uns kaum mehr vorstellen können, einen Brief von Hand zu schreiben, so können sich Schülerinnen und Schüler kaum mehr vorstellen, ein E-Mail zu verfassen.

Was haben wir also verpasst? Das Älterwerden, Mike, und damit einhergehend das Verständnis über die Art und Weise, wie Kommunikation bei denen, die das Morgen darstellen, funktioniert.

(1) Anything that is in the world when you’re born is normal and ordinary and is just a natural part of the way the world works. (2) Anything that’s invented between when you’re fifteen and thirty-five is new and exciting and revolutionary and you can probably get a career in it. (3) Anything invented after you’re thirty-five is against the natural order of things.

    Douglas Adams

    Also blockieren wir nicht, was sie tun, machen wir uns nicht über sie lustig oder stellen sie, wenn auch subtil, als digitale Hinterwäldler dar, sondern kümmern wir uns stattdessen lieber darum, dass wir ihnen unser Wissen, das wohl historisch einzigartig ist, da wir eine Generation sind, die nicht nur die Zeit vor der Verfügbarkeit des Internets kennt, sondern auch dessen Entstehung und dessen Erwachsen bis zum Status einer Selbstverständlichkeit miterlebt hat, zur Verfügung stellen und uns proaktiv um eine Zukunft für sie kümmern, in die sie getrost gehen können, da wir uns um die potentiellen Gefahren, die wir aufgrund unseres einzigartigen Wissens eben noch sehen können, bereits gekümmert haben, noch bevor sie für diejenigen, die nicht über dieses Wissen aus erster Hand verfügen, zum Problem werden konnte. Und nein: Der Zwang, unsere in ihren Augen veralteten Technologien zu nutzen, ist kein solches Abwenden von Gefahr, sondern ausschließlich nur die Angst vor dem Älterwerden.

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