Was der Economist da schreibt tut weh. Und das Zitierte hier ist eine stark gekürzte Version eines unangenehmen Artikels, der klar und offen anspricht: Die deutsche Verwaltung, eine „sklerotische Bürokratie“, wird, wenn sie sich nicht schleunigst an die gegenwärtigen Umstände anpasst und eine grundlegende Änderung im Zugang zu ihrer Tätigkeit findet, die deutsche Wirtschaft ersticken.
Jetzt schon hat zum Beispiel die Automobilindustrie, ein Leuchtfeuer der deutschen Wirtschaft, viel von seiner Leuchtkraft verloren.
Germany’s famous old brands—BMW, Mercedes, Porsche, Volkswagen—risk being left behind as consumers switch to EVs. The combined market capitalisation of the four companies is now less than half that of Tesla. Much like the German economy as a whole, their business model was working just too well to adapt.
The Economist
Die Analyse – was es nämlich bedeutet, wenn es zu gemütlich wird, weil ein System eine Zeit lang zu gut funktioniert, wenngleich sich der Erfolg nicht aus dem System selbst ergibt – ist passend. Sowohl für einige Unternehmen, die sich mittlerweile damit arrangiert haben, als auch für die deutsche Verwaltung an sich. Deutschland, so lese ich im Artikel, ist trotz (und nicht wegen) seines Verwaltungsapparats und der zugehörigen Routinen erfolgreich geworden. Für Deutschland, so lese ich weiter, wird dieser Apparat samt seinen Routinen nun aber zum Verhängnis. Und für alle (Unternehmen), die sich damit arrangiert haben, ebenso.
Overcoming […] three challenges—geopolitics, climate change and demography—will require a nimble, digitally savvy and highly capable state. Unfortunately, Germany’s state is none of these things. The country’s success has for a long time masked the inadequacy of its institutions and administration, which is now being exposed. […] Without enormous improvements, it will become a bottleneck as the economy tries to adjust.
Ohne ernstzunehmende Herausforderung treibt so ein System pervertierte Blüten und mutiert zum reinen Selbstzweck. Es verliert den Anschluss an die Gegebenheiten der Welt und erfleißt sich in sinnlosen Tätigkeiten, das Leben blockierenden Regulierungen und Aufsichtsorganen, die der Staubschicht im Keller mehr Zeit widmen als der Tatsache, dass der daraufhin folgende Bericht per Fax irgendwo hin übermittelt wird. Wenn survival of the fittest auf Deutsch etwas sperrig mit dem „Überleben der Passendsten“ übersetzt wird, dann hat sich die deutsche Verwaltung unpassend gemacht. Sie bzw. die sie bestimmende Politik scheint nicht fähig oder willens zu sein, Adaption und Anpassung den Stellenwert zu geben, der nötig wäre, um ein marodes, von fachlicher Einseitigkeit zerstörtes System zu modernisieren und in die Gegenwart zu holen.
Digitalisierung, Effizienz und somit die Geschwindigkeit in der Be- und Verarbeitung von Anliegen scheinen Fremdwörter zu sein. Rechtliche Grundlagen und ein auf die Auslegung und Interpretation dieser Vorschriften, nicht aber auf die den Vorschriften zugrundeliegenden Begebenheiten spezialisierter Apparat an fachlich einseitig ausgebildeten Beamten hat seine Fähigkeit, die Sache – und nicht das Recht – zu betrachten, verloren. Die Verwaltung – der Economist nennt sie eine „sklerotische Bürokratie“ – ist auf einem Auge blind geworden und kann mit den Aussagen von Expertinnen und Experten offenbar nicht einmal mehr umgehen. Klar, dass jemand, der nicht sieht, so wenig wie möglich verändern will, um sich in seinem Umfeld so sicher wie nur möglich bewegen zu können. Dass das große Teile der Wirtschaft potentiell ersticken kann, scheint kein Argument zu sein. (Wie denn auch, sie erkennen es ja nicht einmal, wenn man es klar ausspricht!?)
The problem is […] the nature of the administration itself. Observers paint a picture of a government stuffed with lawyers and unable to steer policy or even monitor consultants properly. Germany’s federal structure has created a patchwork of digital fiefs that are fiercely guarded. […] The country’s […] chancellor, has so far shown little interest in deep reform of the state, and seems keener on fiscal rules than bold change. The last time Germany was in such a mess was the late 1990s […] Back then, German politicians embarked on painful reforms, which ended up being assisted by favourable conditions in the global economy, not least a boom in emerging markets. There is no such boom in sight now.
The Economist
Das sind dann mal keine rosigen Aussichten. Wenn man das mit dem Faktum verknüpft, dass in Europa – und vor allem in Deutschland – Innovation zwar ideell hochgehalten, faktisch aber der Bewahrung unterstellt behandelt wird, da die Demografie einer Generation von Berufserben den Weg freimacht, die nie gelernt hat, wie man das macht, dieses „etwas aufbauen“, sondern mehr Zeit und Energie darauf aufwendet, übertragenen (sprich: geerbten) Reichtum zu verwalten. Wer denkt auch schon darüber nach, irgendetwas aufzubauen, wenn er täglich 93.000 Euro ausgeben kann?
Ich erinnere mich an das Buch des britisch-ugandischen Schriftstellers Musa Okwonga über das Elite-Internat Eton. Darin stellt der Autor fest, dass der europäische Wohlstand einer ist, der auf dem Verwalten von vorhandenem und nicht auf dem Schaffen von neuem Reichtum basiert. Leistung – wir alle kenne das Wort des „Leistungsträgers“ nur zur Genüge! – ist somit vom Erfolg entkoppelt, schafft aber an. Warum sollte also der Reichtum, der aktuell von einer bewahrenden Beamtenapparat flankiert wird, Interesse daran haben, eben diesen Apparat in eine Richtung zu optimieren, die nicht mehr aufs Bewahren, sondern aufs Schaffen ausgelegt ist?
Ja, ja, ich weiß, das war jetzt eine harte Linkskurve im Verlauf des Artikels, aber die Diagnose steht trotzdem. Deutschland droht abzurutschen und die „sklerotische Bürokratie“ wird diesen Abrutsch nur beschleunigen, wenn die Politik dort nicht ansetzt, um ein Umfeld zu schaffen, das von seiner Konstitution und in seinem Aufbau der Innovation und Erneuerung einen Vorsprung gegenüber dem Bewahren und Erhalten verschafft. Aktuell noch könnte die Sache im Einklang erfolgen, früher oder später – und glaubt man dem Artikel Economist, dann eher früher – wird dieser Wandel ohnehin kommen, dann aber in einem für beide Seiten unangenehmen Tempo.