Europa, kein friedlicher Kontinent 🐂

Man kann eine Kritik an Frontex herausbrüllen und auf taube Ohren stoßen. Oder man verpackt sie derart gut, dass das Unboxing des Arguments zum Erlebnis wird.

Wenn ein Text gelungen ist, verdient er es, zitiert zu werden. Wenn die inhaltliche, und den Körper des Textes bildende Spange, die sich im Zitat hinter dem banalen Auslassungszeichen („[…]“) verbirgt, von so einer trefflichen Erzählung eingerahmt ist, dann umso mehr.

Europa war nie ein friedlicher Kontinent. Nur ein gut erzählter. Und diese Erzählung beginnt mit einem Stier. Ein Tier, das kein Tier ist, sondern ein Gott in Tarnung. Zeus, der sich in einen weißen Stier verwandelt, um die phönizische Königstochter Europa zu entführen. Er lockt sie mit Schönheit, Geduld und sanftem Blick. Dann trägt er sie über das Meer nach Kreta, wo er sie vergewaltigt. Diese Geschichte ist kein poetischer Gründungsmythos, sie ist ein Prolog zur Geopolitik. Sie erzählt von Macht, Besitz und der Okkupation von Körpern. Und sie endet nicht in der Antike. Sie zieht sich durch die Geschichte des Kontinents wie ein unsichtbarer Riss. […] Europa wurde nach einer Entführten und Vergewaltigten benannt. Vielleicht passt das besser, als uns lieb ist. Der Name steht nicht für Schutz, sondern für Besitz. Nicht für Recht, sondern für Zugriff. Nicht für Erinnerung, sondern für Wiederholung. Europa war nie ein sicherer Ort. Es war ein Projekt zur Grenzziehung. Wer dazugehört, darf leben. Alle anderen sind Verhandlungsmasse. […] Was mich vom Meeresgrund trennt? Ein Lottoschein namens Staatsangehörigkeit. Nicht Gott. Nicht Recht. Nicht Schutz.

LowerClassJane

Den Verweis auf den Text habe ich bei Malte Engeler auf Mastodon gefunden, die allgemeine Kritik des Artikels, das also, was sich inter dem Auslassungszeichen verbirgt, ist jetzt nicht mehr oder weniger interessant als vergleichbare Texte, aber lesbarer – und das macht einen Unterschied. Die Spange, die dem Titel – Zeus, Dobrindt, Frontex: Eine Familiengeschichte – mehr als Recht wird, ist hierzu anregend, nicht abschreckend.

Und wie auch bei anspruchsvollen, wenig schreierischen, somit gerne als Herausforderung angenommenen Argumenten von der einen Seite, sind auch Erzählungen, Ableitungen und Interpretationen von der anderen erfrischend, wenn sie das sonst übliche Herumlamentieren und Fordern – beides Formen eines als Analyse getarnten Protests, der seine Kraft aus der Überzeugung gewinnt, am Ende ja doch nichts verändern zu können (zu wollen?) – einmal verlassen und, wie hier, zugängliche, nachvollziehbare und begründende Punkte vorlegen.

Wäre die mythische Spange das Verpackungsmaterial, dann würde ich dem Artikel attestieren, seine Inhalte durchs Unboxing selbst greifbar zu machen. Ein schönes, seltenes Erlebnis bei dieser Art von Texten.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Benachrichtige mich bei Reaktionen auf meinen Kommentar. Auch möglich: Abo ohne Kommentar.