KI in Google Workspace, Microsoft Office 365 und in unserem Denken

Ein Beitrag, in dem ich eigentlich nur den Einsatz von künstlicher Intelligenz in den Office-Produkten von Google und Microsoft loben wollte, der dann aber zu einer Warnung vor dem Import von Wertesystemen durch Technologie geworden ist.

Fangen wir mit Google Workspace an. Bitteschön, hier der zugehörige Clip, der mir im Grund zeigt, dass all die langweiligen Aufgaben, mit denen wir bisher unsere Lebenszeit verbrannt haben, endlich – endlich! – von einem Computerprogramm übernommen werden. Die AI in Google Workspace reagiert auf Kommandos, die Implementierung, die Google Workspace bereithält, entspricht im Grunde genommen dem Bereitstellen von Kommandozeilen in allen Office-Produkten.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Microsoft geht mit Office 365 und der dortigen Integration einer KI einen sehr ähnlichen Weg, hat dabei aber einen entscheidenden Vorteil. Mit dem Begriff „Copilot“ hat Microsoft bereits einen Begriff etabliert, der „intelligente“ Funktionen bereitstellt. Alle Office-Produkte, so scheint es, reagieren nun auf diesen Begriff. Während Google eine Art Kommandozeile bereitstellt, reagieren Office-Produkte auf einen Aufruf des Kommandos „Copilot“, wie man auch im Promo-Video, das überhaupt nicht an Googles Video erinnert, nein, ganz und gar nicht, zu sehen bekommt.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Ich kann es nur noch einmal betonen: Wenn ich mir ansehe, wofür KI nun genutzt werden wird, dann bleibt doch der bittere Beigeschmack übrig, all die Lebenszeit, die wir Menschen mit dem Verfassen ohnehin nie gelesener Berichte, dem Beantworten irrelevanter Mail-Threads, dem Styling von Präsentationen und vielen, vielen anderen, im Grunde genommen sinnlosen Tätigkeiten, vernichtet haben, tatsächlich verloren zu haben.

„Verloren“ ist übrigens ein gutes Stichwort. Vielleicht ist es nur mein Eindruck, aber was die ganze KI-Sache angeht, so kommt es meiner Meinung nach momentan zu einem enormen Imagewandel und einer Verschiebung der technischen Hoheit in diesem Segment von Google zu Microsoft. Google hatte bisher den Ruf des hippen und technisch weit überlegenen Unternehmens. Mit OpenAI, ChatGPT und der KI-Integration, mit der Bing nun aufwartet – und sind wir uns ehrlich: kein anderes Softwareunternehmen, nicht einmal das chinesische Baidu, hat aktuell eine KI, die es auch nur im Ansatz mit der mit Microsoft-Beteiligung aufnehmen kann – hat sich Microsoft in diese „hipp und technisch weit überlegen“-Position gehievt eingekauft. Wer weiß, vielleicht bin ich auch nur von dem durchgestylten Look, mit dem Microsoft seine KI im Promovideo präsentiert, beeindruckt. Letzten Endes werden wir ja sehen, wie diese – kann man schon sagen? – „AI-Wars“ ausgehen werden. Vermutlich werden es sich die beiden Unternehmen genauso aufteilen wie beim Office-Produkt selbst. Die eine KI wird sich subtil, aber doch bemerkbar, in ihrer Art zu arbeiten von der anderen Unterscheiden und die Sache wird enden wie Mac vs. Windows. Die einen werden mit der Microsoft KI, die anderen mit der von Google besser arbeiten können. Die subtilen Unterschiede in den programmgenerierenden Code der beiden KIs unterzubringen… wow, das wird nuancierte Arbeit werden, die an Faszination kaum zu überbieten ist, da sie ja nicht nur funktionale Aspekte beinhalten, sondern auch kulturelle, sprachliche und (geschäfts-) übliche Usancen lernen, erkennen und verarbeiten muss. Wow!

Jedenfalls, allerdings, wünsche ich mir so sehr, noch während meiner Lebenszeit die Aufhebung des geistigen Formfaktors „gedrucktes Dokument“ zu erleben. Reports werden beispielsweise aus Keywords oder aus der Bildschirmaufnahme generiert oder – was spricht denn hier dagegen? – sie werden einfach aufgezeichnet und zur späteren Ansicht abgespeichert, vielleicht sogar mit automatisiert gesetzten, thematischen Markern. Was ist ein Report wert, wenn ich die exakte Stelle, die mich interessiert, einfach wieder abspielen kann?! Auf Abruf. Jederzeit. Zusammenfassungen, Executive Summaries… das sollte alles on the fly auf Basis von Rohdaten passieren und nicht von Praktikanten, die ihre jugendliche Energie bis dato mit der Verblödung an solchen Tätigkeiten geopfert haben. Verwaltung, Ordnung, Katalogisierung, Schaffen und Einsatz von Taxonomien und Einordnungssystemen, Berichte… das alles sollte so schnell als nur irgendwie möglich in digitale Formate konvertiert und – und das ist der entscheidende Punkt – vorrangig auch so verarbeitet werden, die Papierform nur noch als „Möglichkeit zur Archivierung“ gedacht. Digitalisiert ist ja vieles schon, aber so, wie ich das in einem Unternehmen nach dem anderen sehe, ist das, was man dort Digitalisierung nennt, nicht ganz zu Ende gedacht und immer noch ein Abbild eines für Papier geschaffenen Systems. Der Wandel sollte digital first vor paper first setzen und KI, eingesetzt als Tool, könnte hierbei vielleicht helfen.

Doch was lese ich im Standard vor ein paar Tagen? Anstatt das enorme Potential, das es in Europa in diesem Bereich gibt, aktiv zu fördern und die Kreativität und den Schaffenswillen für den wissenschaftlichen und damit einhergehend auch wirtschaftlichen Vorsprung zu nutzen, drohen wir nun auch bei der Entwicklung und dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz gegenüber Herausforderern aus China und den USA vom Spielfeld auf die Zuschauertribüne gedrängt zu werden. Der eindringliche Titel des Kommentars von Stefan Mey lautet: Europa darf nicht auch noch bei künstlicher Intelligenz versagen. Und was da drinnen steht, kann ich sehr gut nachvollziehen.

Im Verwalten sind wir Europäer absolute Spitzenklasse, im Regulieren vermutlich sogar Weltmeister. Dabei kommen die meist gut gemeinten Intentionen oft nicht bei der Bürgerin oder beim Bürger an, und für die Wirtschaft sind sie ohnehin alles andere als förderlich. So ist es nicht verwunderlich, dass die meisten großen Player im Social Business aus den USA und […] aus China [stammen]. DSGVO hin oder her, haben weite Teile der Bevölkerung ihre Daten nach Westen und Osten vergeben und lassen sich von den ungezügelten Algorithmen der Big-Tech-Player ihr Weltbild einprogrammieren. […] Es ist Zeit […] aktiv an einer stärkeren Position Europas in der digitalen Welt zu arbeiten. Etwa im Bereich der künstlichen Intelligenz […] Während sich auch hier wieder vor allem die großen US-Konzerne in Stellung bringen und an neuen Lösungen arbeiten, ist man freilich auch in den EU-Institutionen nicht untätig – indem das EU-Parlament aktuell über die Gestaltung des geplanten AI Act debattiert. Dessen Ziel ist wieder äußerst europäisch: mehr Regulierung.

Stefan Mey

Was allerdings nicht im Kommentar von Stefan Mey zu finden ist, ist die Kritik einer geistigen Haltung, die ich dem durch Erbschaft und rechtliche Konstruktionen zum Bewahrer- und Verwalterkontinent degradierten Europa provokant unterstelle, in dem Innovation nahezu grundsätzlich zu allererst abgetan und in seiner Wirkmacht ins Lächerliche gezogen wird. „Wos brauch ma des?“ ist keine Frage, sondern eine geistige Haltung. Elaborierter heißt es dann, dass diese Dinge nicht dem „europäischen Kulturkreis“ oder gar den „europäischen Werten“ entsprechen, dass man „nicht jeden Mist aus China übernehmen“ muss oder sich „jedem Trend aus den USA hingeben“ sollte. In Wahrheit aber, so kommt mir vor, muss es in unserem europäischen Denken irgendwo, irgendwann einen Moment gegeben haben, in dem die Mentalität des Bewahrens und Verwaltens die des Erfindens und des Verstehens des praktischen Nutzens von Innovation übertroffen hat. Und seitdem leiden wir unter diesem von den einen als fortschrittsfeindlich, von den anderen als Segen interpretierten Denken. Klar, dass wir mit diesem geistigen Framework dann wohl eher regulieren (in anderen Worten: vorhandene Strukturen und Machtverhältnisse so gut als möglich bewahren) anstatt die Herausforderungen, die ein Jahr 2023 bringt, innovativ und risikoreich anzugehen (was vermutlich die in der vorigen Klammer erwähnten Dinge wenn nicht herausfordern, so zumindest ins Wanken bringen könnte). Aber wir haben auch uralte Leitsätze, die diesen Konflikt zwischen Bewahren und Verändern ganz klar auf den Punkt bringen, je nach Sichtweise und Zugang interpretiert werden können und uns beweisen, dass viele schon darüber nachgedacht haben: Von nichts kommt nichts. Und wenn in puncto AI nichts von uns Europäern kommt, dann müssen wir uns auch diese Innovation von außen einkaufen.

Und dann [hier eine theatralische Atempause] kommt es zur tatsächlichen Herausforderung dessen, was ich gewillt bin als europäische Werte zu bezeichnen, denn die importierte Technologie bringt ihre subtilen und ihr innewohnenden Logiken und Wertesysteme unverhandelbar und unabänderlich mit sich. Anfangs ganz einfach, weil wir einfach akzeptieren, dass ein von einer KI generierter Bericht so und so aufgebaut ist, später eindringlicher, weil wir auch akzeptieren werden, dass diese und jene Punkte von der KI als wichtiger bewertet werden als die Dinge, die uns wichtig sind. Die Kraft, gegen eine ausgefeilte und durchdacht wirkende Maschine anzutreten, werden nur sehr wenige aufbringen (wollen). Und so schleichen sich externe Wertesysteme in unser Denken ein, und werden aufgrund von Faulheit, zeitlicher Knappheit oder irgendeinem anderen Grund, der uns vom kritischen Hinterfragen der von der Maschine erstellten Inhalte abhält, übernommen, vermittelt und internalisiert. So, wie ihr heute schon „Gym“ sagt und nicht „Fitnesscenter“ – eine einfache, minimale und unschuldige Änderung im sprachlichen Gebrauch, die aber ein völlig anderes Bild ein und desselben Ortes hervorruft – wird sich mit dem steten Einfluss der auf KI basierenden Technologien in den Applikationen und Programmen, mit denen wir Tag für Tag stundenlang arbeiten (Office-Produkte), auch langsam, aber stetig unser Denken ändern und an die importierte Technologie anpassen. Denn Denken – und nicht die Maschine! – ist flexibel, adaptiv und sucht den Weg des geringsten Widerstandes. Eine KI ist im Vergleich dazu ein starres Konstrukt. Ihr Import wird also, ob wir wollen oder nicht, unser Denken verändern, unsere Zugänge und unsere Bewertungsgrundlagen für verschiedene Situationen und Szenarien an die ihr innewohnenden, technisch subtil vermittelten Werte anpassen.

Das [auch hier wieder die theatralische Atempause] ist in meinen Augen die eigentliche Gefahr, die eine importierte – und nicht hier in Europa entwickelte – KI mit sich bringt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert