Sonntagsarabesken #34

Eine unaufgeregte Woche ist vorüber. Sonne und Regen und Sonne haben mir zu verstehen gegeben: Du bist glücklich! Und die samtweiche Stimme von Carlos Gardel tat ihren Teil dazu. Die Gegenwart ist heute so nahe an mich heran gerückt, dass ich nicht zu sagen wage, wieviel davon aus meiner Geschichte und wieviel aus dem Jetzt stammen könnte. Blühender Flieder, mit seinem schweren Duft, ein Grabstein der Kindheit? Die grün lackierten Gartenzäune, überwuchert von dicht belaubten Sträuchern, ein Nachruf auf verklärte Frühlingstage? Sieht man ein Gespenst vorüber gleiten, wenn sich im Reflex des Sonnenlichtes auf einer Fensterscheibe das Gesicht der Geliebten abzuzeichnen scheint (blasser Umriß, Undeutlichkeit des allzu klaren Schmerzes)? Eine Erinnerung tritt neben die andere, sie schließen die Reihen, sie tauschen die Plätze, und Schulter an Schulter kreisen sie mich ein; das Denken schläft nicht. Der Tag ist noch jung. Ein Viertel, vom Mond gewiegt und von der Sonne gewärmt, die Gegend meines ersten Sehens, Riechens, Fühlens. Meiner ersten Liebe. Und gleichzeitig verwoben mit den magischen Fäden der letzten. Mädchen, junge Frauen, die aus den taufrischen Wiesen der Parks sich erheben, und wunderschöne Gesichter, von raschelnden Blättern bekränzt. Liebesszenen, so habe ich gelesen, werden manchmal „ersatzlos“ gestrichen, aus Verbitterung und gekränkter Eitelkeit. Doch wenn wir sie auch aus unseren Gedanken verbannen wollen, die nie erfolgten Bekenntnisse und Küsse, sie leben dennoch fort, in den Orten der vergangenen Zeit, deren unmerklichen Veränderungen uns unter ihrem Zauberkleid verborgen bleiben. Und deshalb träume ich noch immer. Solange das Licht sich in den Fenstern bricht; solange Blüten über Zäune schäumen!