Das Rascheln hunderter Fächer, blitzende Colliers, rauschende Roben; die Logen gut gefüllt mit Mailands bester Gesellschaft. Im gedämpften Honiglicht der Bühnenkerzen bewegen sich die dunklen Silhouetten der Sänger, der Maestro steht weiter vorne, auf das Klavier gestützt. Das Drama nähert sich seinem Ende, dem Höhepunkt, und während La Pasta, die Primadonna, in der Garderobe noch eisgekühlten Champagner zu sich nimmt, bricht die Welt unseres armen Elvino zum zweiten Mal zusammen. Hat ihn nicht zuvor schon seine geliebte Amina belogen und betrogen? Hat er nicht schon einmal den Glauben in die Liebe verloren? Und jetzt? Jetzt Lisa? Rubinis göttlicher Tenor setzt zärtlich ein, mit dem nötigen Hauch von Verzweiflung: Lisa! mendace anch’essa! Rea dell’istesso errore! – Hat sie ihn belogen, sich des selben Verbrechens gegen die Liebe schuldig gemacht? Auch sie? Seine zweite Braut? Elvino stolpert hilflos zwei Schritte nach vorne; Rubinis Augen haben sich getrübt, der Kerzenrauch macht ihn halb blind, das Glitzern der edlen Stoffe und die bleichen Gesichter der edlen Damen in den Proszeniumslogen lassen ihn ein wenig konfus werden, den Text sollte er sich ja auch noch merken: Spento è nel mondo amore… Was für ein Satz! Das Theater hält den Atem an. Der Maestro wendet den Blick hinauf zu jenem jungen Mädchen, dem diese kleine Canzonetta gewidmet ist. Die Marchesina Pepoli, die ihren hübschen Kopf sofort in die Dunkelheit ihrer Loge zurückzieht, als sie Bellinis Augen auf sich ruhen spürt. Das Publikum atmet verhalten. Ist sie also wirklich tot, die Liebe, in dieser unserer Welt? Durch den eingebildeten Betrug einer Anderen, die wir zu lieben glaubten, weil sie unsere letzte Hoffnung war? Täuscht sich Elvino nicht selbst, wenn er von allen Seiten nur die Erwiderung seiner Liebe erhofft und bei Zurückweisung vor Eifersucht vergeht? Più fé, più onor non v’ha! Das also ist das Werk der Einbildung. Amina und Lisa haben sich in Elvinos Brust gegen ihn verbündet – vor diesem gespenstischen Pakt geht er in die Knie. Wie ein Wahnsinniger verwüstet er jeden Winkel seines Geistes, läßt kein Gefühl auf dem anderen und stürzt schlußendlich in die erste maskuline Depression der italienischen Romantik. Ein Leidender aus Liebe; ein Blinder im Qualm von Kerzen und falschen Eitelkeiten. Die Melodie wogt weiter. In ihrem Bogen verlieren sich, feiner als Rauch, dünner als Wind, die Spannung und Intensität aller Blicke und Unsicherheiten, aller Einbildungen und Gleichgültigkeiten. Das sanfte Ende eines traurigen Liedes, das im Ensemble der Stimmen erstirbt.
Am 6. März 1831 trat Elvino zum ersten Mal auf die Bühne. Die gläsernen Wände seines Gefängnisses – Liebe, Eifersucht, Zorn – stehen seitdem fester als Stahlbeton.