Technologie hat ihre Magie verloren

Technologie war Magie. Warum ist sie es nun nicht mehr, warum erleben wir keine Momente der Ehrfurcht mehr, keine Momente der Freude, keine Momente der Rastlosigkeit, die Neuerungen zu erforschen, sie auszuprobieren und mit ihnen zu spielen, wenn wir mit Technologie konfrontiert sind?

John Battelle berichtet über seinen ersten Mac 1984 (und wie er von der Übersetzung der physischen Bewegung der Maus in einen virtuellen Desktop begeistert war), seinen ersten Login bei WELL, einem sehr frühen „sozialen Netzwerk“, über das Google aus 1998, das – magisch – in 9 von 10 Fällen relevante Ergebnisse lieferte, über Blogs und das Bloggen in den Jahren von 2001 bis 2008, sowie über den Launch von Spotify, Skype, den ersten Kindle, das frühe Usenet, sogar das frühe Facebook, Snap oder das erste iPhone. All diese Technologien und Devices haben ihn fasziniert.

Er ist nicht alleine, einige der Dinge und ihre Magie habe ich auch miterlebt und auch ich kann nachvollziehen, worauf John Battelle in seinem Artikel mit dem Titel „Tech used to be magical. Why isn’t it anymore?“ abzielt. Für mich waren es – es mag lächerlich klingen – magische Momente, ein größeres Update eines Betriebssystems eingespielt oder den Browser aktualisiert zu haben. Danach probierte ich die Programme und Systeme aus, sah mir genau an, was man nun tun konnte (oder nicht mehr). Und mit nahezu jedem Update eröffnete sich ein Kosmos an neuen Möglichkeiten. Browser Wars? Entdeckungszeit!

Mittlerweile gehen mir Soft- und Hardware-Updates aber nur noch auf die Nerven. Die Neuerungen sind vernachlässigbar oder so jenseits von dem, was man als reguläre Anwendung bezeichnen könnte, das ich froh bin, diese Updates gar nicht groß mitzubekommen. Softwareupdates erkenne ich heute daran, dass ich neue Nutzungsbedingungen akzeptieren muss. Das ist es aber auch schon. Keine Freude, keine Neugier, keine hoffnungsvollen Erwartungen, die nicht mit dem Wissen über die gleichzeitig mitgelieferten Enttäuschungen einhergehen. Dass mich einmal ein Soft- oder Hardwareupgrade begeistert, ist sehr, sehr lange her.

What all these moments of tech magic have in common is the power and control they gave to the average person. Early tech gave us agency over parts of our lives that were previously hobbled by physics and economics. The Mac gave computers a physical interface. […] Early online services, then the web itself erased boundaries of geography, information access, and culture. Google, for a brief and wonderful period, helped it all make sense. Services like Tivo and Spotify gave us agency and elasticity over media.

John Battelle

John Battelle erlebt das ganz ähnlich und stellt die These auf, dass wir uns nicht mehr als Herren der Technik bzw. Technologie sehen, in dem wir sie nutzen, um etwas zu schaffen, sondern uns in Convenience-Funktionalitäten verlieren. Was uns früher ermächtigt hat, blockiert uns heutzutage teilweise. Es ist ein bisschen so wie die innenartchitektonischen Entscheidungen, die unsere Großeltern für ihren Wohnungen und Häuser getroffen haben: Alles ist an seinem Platz, für jede Eventualität ist gesorgt. Wir alle kennen das Gefühl, das wir in solchen Lebensbereichen haben. Man spürt, dass diese Art zu leben nur noch der Notwendigkeit körperlicher Einschränkung geschuldet ist. Man akzeptiert das, was denn sonst, hofft aber insgeheim, dass es bei einem selbst noch lange dauert.

Und so fühlen sich Updates und technische Entwicklungen an: Nicht Studentenbude, die Spaß macht, sondern Convenience, die Lethargie befeuert. Nicht erforschen, herausfinden, browsen (!), sondern passives Konsumieren algorithmisch vorgeschlagener Inhalte, die gerade gut genug sind, damit wir nicht wegschalten.

I no longer feel like Google, or the web, or television, or Spotify are in anyway magical. In fact, they all kind of suck now. Why? Yes yes, the ad model and surveillance capitalism, but honestly, I think it comes down to our society’s cardinal sin of favoring convenience over agency. Turns out it’s just easier to let Spotify or Netflix or Instagram feed us media that, while perhaps not our first choice, seems consistent with things we’d likely choose if we actually decided to make a choice in the first place. The magic that we felt when tech was young has been replaced by the dark art of the hidden and inscrutable algorithms busily feeding us stuff we never would have thought of engaging with otherwise.

John Battelle

Und ja, auch John Battelle schwenkt im letzten Absatz auf die nächste, große Gefahr um, die bereits die Startlöcher verlassen hat und auf uns zurollt.

I fear this model – where our own agency has been sacrificed at the altar of convenience – will serve us poorly should artificial intelligence become the next framework for how we engage with computing going forward. And there’s no doubt that Nearly Everyone In Tech wants generative AI to be The Next Big Thing, proof that tech can, in fact, bring back the ol’ magic of yore. […] If we don’t take our agency back when it comes to “the agentic web,” I fear this entire AI revolution will come to naught. And we’ll have wasted billions – and a helluva a lot of our collective time – in the pursuit of it.

John Battelle

Je länger ich über den Zusammenhang von Technologie und ihrer Wahrnehmung als Magie denke, desto mehr wird mir bewusst, wie viel Magie Technologie verloren hat. Ich kann mich an Zeiten erinnern, als mich neue Automodelle fasziniert haben. Heute juckt mich praktisch gar nichts mehr in diese Richtung. Tesla hier, BMW da, BYD dort – alles Einheitsbrei, voll gepackt mit irgendwelchen Features, die mit dem Autofahren nichts mehr zu tun haben. Daher uninteressant. Fernseher? Früher Stunden in irgendwelchen Märkten oder auf Review-Seiten verbracht, heute: Nimm irgendeinen, die sind ab einer Preisklasse alle fast gleich. Kaffeemaschinen, Herde, Drohnen, Handys, sonstige technischen Geräte – alles Einheitsbrei mit unterschiedlichen Marken und Logos drauf. Relevante Unterschiede nur noch im Detail. Die Entscheidung für eine Marke ist mehr das Aufrechterhalten eines persönlichen Images und nicht eine bewusste Entscheidung für Technologie.

Es ist langweilig geworden.

2 Kommentare

  1. Bei diesen Technologien geht es ja im weitesten Sinne immer um Technologien, die mit Computern zu tun haben. Und die sind inzwischen endgültig in der Normalität des Alltags angekommen. Nimm als Vergleich die Technologie „Elektrizität“: im Anfang war das etwas Revolutionäres, das ganz viel in dem Leben unserer Vorfahren umgekrempelt hat. Inzwischen ist Elektrizität einfach da. Im Anfang waren Glühbirnen „der heiße Scheiß“ und heute ist es etwas, das einfach genutzt und ersetzt wird, ohne sich Gedanken zu machen

    • Ich fürchte, Rolf, du hast Recht. Der Verlust der „Magie“ ist einfach die Abnutzungserscheinung der Normalität.

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