Überbau hebt ab

Das Vertrauen in Legislative, Judikative und Exekutive erodiert. Wie lange noch, bis der Glaube an die drei Säulen erodiert?

Infolge der vor ein paar Tagen getroffenen Entscheidung des Höchstgerichts der Vereinigten Staaten, das Urteil Roe vs. Wade (und damit die allgemein Straffreiheit von Abtreibungen bis etwa zur 24. Schwangerschaftswoche) zu kippen und die Regulierung von Schwangerschaftsabbrüchen an die Bundesstaaten zu übergeben, hat, abseits der Tatsache, dass 6 Personen – das Urteil wurde mit einer Mehrheit von 6:3 Stimmen gefällt – über das Leben und die Körper von Millionen von US-amerikanischen Frauen entscheiden, zu Aussagen (von namhaften Persönlichkeiten) und Kommentaren (in namhaften Medien) geführt, die mich ein Aufweichen des Glaubens und Vertrauens der Bevölkerung in die Justiz erkennen lassen. Eine mehr als bedenkliche Entwicklung, denn der Glaube und das Vertrauen in die Politik ist ohnehin schon dahin, jener in die Exekutive spätestens seit den Amokläufen auf Schulen zumindest sehr stark eingeschränkt. Und jetzt auch noch der Supreme Court?

Wenn die New York Times einen Essay mit dem Titel „Requiem for the Supreme Court“ veröffentlicht, in dem sie, gestützt auf die Dissenting Opinion zur Begründung des Urteils, dem Höchstgericht vorwirft, sich nicht an das Gesetz zu halten, sondern an die persönlichen (parteipolitischen?) Meinungen, dann ist das schon starker Tobak.

The arrogance and unapologetic nature of the opinion are breathtaking. […] The majority has overruled Roe and Casey for one and only one reason: because it has always despised them, and now it has the votes to discard them. The majority thereby substitutes a rule by judges for the rule of law.

Was passiert als nächstes? Werden wir sehen, dass es möglich ist, Regierung, Exekutive und Justiz zu misstrauen? Werden wir vorgezeigt bekommen, wie man damit umgehen kann? Wird es zu einer Radikalisierung und Polarisierung kommen? Werden Gruppen, die jetzt schon den Staat nicht anerkennen wollen, stärker werden, werden sich neue bilden? Die aber alles entscheidende Frage wird sein: Wie werden sich Gruppen verhalten, die sich in der Politik nicht mehr repräsentiert, von der Justiz nicht mehr berücksichtigt und von der Exekutive angefeindet fühlen, wenn sie von Menschen gestärkt werden, sich bislang – aber eben nicht mehr! – gut vertreten, berücksichtigt und geschützt sahen? Welches Recht gilt für diese Menschen, was empfinden sie als gerecht? Wieviel ihres Verhaltens wird erzwungen sein, wieviel aus Überzeugung geschehen? Hier erodiert etwas und wir laufen sehenden Auges drauf zu.

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