Wie Wired und Verge sich gegen Trafficverluste wehren

Wired und The Verge nehmen ihre Zukunft selbst in die Hand und implementieren Innovationen, um den durch KI abgewürgten Traffic nicht weiter sinken zu lassen.

Wired und Verge, sicherlich zwei der ambitioniertesten und innovativsten Online-Magazine, haben ihr Angebot um Features, Funktionen und Zugänge erweitert, die beiden Websites als Gegenmaßnahmen zum durch ChatGPT und andere Künstlichen Intelligenzen verursachten Verlust von Traffic dienen sollen. Die Stoßrichtung beider geht in Richtung erhöhte Relevanz durch Individualisierung und Ausbreitung des Angebots, vornehmlich in Richtung Direktzustellung in Form von Newsletters und Streams (The Verge), aber auch in eine Art der Einbindung von Leserinnen und Lesern in den Entstehungs- und Auswahlprozess aufkommender Stories (Wired).

Die Reaktionen der beiden Websites sind deshalb spannend, weil sie zeigen, wie sich Journalismus und Publikationstätigkeit früher oder später überall entwickeln werden müssen und damit eine Charakterisierung einer möglichen Zukunft ebendieser Tätigkeit schaffen. Die reine Vermittlung von Inhalten hat definitiv ausgedient. Eine personalisierte Zustellung ist ein guter Schritt; und was Wired macht, öffnet in meinen Augen gänzlich eine neue Dimension des journalistischen Arbeitens bzw. der publizistischen Tätigkeit an sich. Denn hier wird der Journalist bzw. die Journalistin in ein Netz verwoben, das zu großen Teilen aus den Leserinnen und Lesern besteht. Ein mutiger, interessanter und – hoffentlich – erfolgreicher Schritt.

Zu den Einzelmaßnahmen.

The Verge bietet nunmehr die Möglichkeit an, auf der Website Themen und Autoren aktiv zu folgen und so den Stream einer starken Individualisierung zu unterziehen; dass dabei das Gefühl eines RSS- oder Social Media-Feeds aufkommt, ist Absicht. Das ist technisch nicht unbedingt innovativ, aber sicherlich für einige Leserinnen und Leser attraktiv.

Today, The Verge is adding some exciting new features that will let you personalize exactly how you read the site. You’ll be able to follow individual topics and authors, then read them in a custom homepage feed and through a daily email digest that’s specific to you. On the front page, you’ll now see a toggle that says “Following” at the top of our news feed. Click it, and you’ll be able to start choosing the topics you want to populate your own custom feed. […] You’ll notice this feels a lot like the way an RSS feed or a social network works. That’s very much by design. Everything is a feed now, and everything is customizable.

The Verge

Ich persönlich rufe Sites wie die vom Standard, der Presse, Spiegel, Zeit, SZ oder FAZ, Wired, The Verge und anderer Magazine und Zeitungen auf, weil ich mit einem Konvolut nicht vorgefilterter und an meine Interessen angepasster Mitteilungen konfrontiert werden will – in meinen Augen ist genau das die Essenz der Arbeit solcher Redaktionen und die Existenzgrundlage für Websites und Printausgaben -, aber ich kann mir vorstellen, dass eine von Fokussierung und Individualisierung geprägte Gruppe von Leserinnen und Lesern die Möglichkeit, den Horizont bewusst einzuschränken zu schätzen weiß.

Was Wired macht, finde ich hingegen interessanter, wenn auch das Risiko, einerseits den Charakter des Magazins nachhaltig zu verändern, andererseits den Zugang finanziell zu stemmen, weitaus größer ist. Doch vorweg begründet Wired (mit den ohnehin bekannten Argumenten), warum der gleich folgende Schritt notwendig geworden ist.

The platforms on which outlets like WIRED used to connect with readers, listeners, and viewers are failing in real time; Facebook traffic disappeared years ago, and now Google Search is dwindling as the company reorients users to rely on AI Overviews instead of links to credible publishers. More and more users are also skipping Google altogether, opting to use chatbots like ChatGPT or Claude to find information they once relied on news outlets for. Meanwhile, AI-generated slop and mis- and disinformation are seeping into the internet’s every pore, polluting social media feeds and drowning out news and human-driven storytelling.

Wired

Doch nun zu den Schritten, die Wired als Gegenmaßnahme implementiert hat. Während man bei The Verge die Art des Informationsabrufs optimiert, fokussiert sich Wired mehr auf die Entstehung und Auswahl von Nachrichten selbst. Ein interessanter Zugang, der die Distanz von Journalist zu Leser, von Redakteurin zu Konsumentin verringern und damit eine Art Community generieren soll. Ein spannender, wenn auch, ich habe es vorhin schon kurz erwähnt, sicherlich nicht ohne Risiko behafteter Schritt.

Our goal is to […] unearth what we describe as “Story Zero”: the story before anybody even knows there’s a story to tell. […] We’ll continue to produce top-tier journalism and storytelling […] and we’re inviting you to join us, directly on WIRED.com or in your inbox, with a new subscription offering that we think is more dynamic, more engaging, and more valuable. […] We’re increasingly focused on creating a community and a shared conversation between WIRED journalists and all of you […] We want to answer your questions and solicit your input and ideas. We want to know what scares you, what excites you, and what we can do to help you navigate this strange new future. […] You can join WIRED journalists and fellow subscribers in the comment sections of WIRED stories to discuss, debate, or ask and answer questions.

Wired

Ich hoffe, dass beide, Verge und Wired, eine Community aufbauen können, die ihnen finanzielle Stabilität ermöglicht, die für die Arbeit, die die beiden leisten, notwendig ist. Ich denke auch, dass die größte Konkurrenz, die Verge und Wired nunmehr haben werden, nicht vonseiten der ganz großen Publikationen stammen wird (NY Times, und dergleichen), sondern von Indie- und Kleinstpublikationen wie 404 Media, die heute schon ganz ähnlich agieren, wie Verge und Wired es zukünftig tun wollen, und viel näher an den Leserinnen und Lesern dran sind. Das ist ein riskantes Spiel, glückt es aber, verspreche ich mir gute, interessante und innovative Resultate.

Und nein, keine Sorge, ich schließe meinen Artikel nicht mit so einer peinlichen Schlusszeile voller Plattitüden. Stattdessen schließe ich mit einem Verweis auf die Medienhäuser, die nicht reagieren, die – vor allem in Österreich und anderen Ländern, bei denen es soetwas wie Medienförderung gibt – den offensichtlichen Verfall so lange verschleppen, bis eine Rettung nicht mehr möglich ist. Davor noch andere Medien zurechtstutzen, anstatt die Sache selbst in die Hand zu nehmen und aktiv zu werden. Und wir am Ende alle dastehen, Millionen (oder Milliarden) an Steuergeld in publizistische Zombies gepumpt haben und uns fragen, wie das alles hat passieren können.

2 Kommentare

  1. Ich würde so gern zu dem ganzen rasanten Verfall sagen, aber Schaum vorm Mund und Wuttränen behindern die Sicht.

    Für AT kannst du allerdings noch einen draufsetzen: JETZT peilt den Launch seiner App für den Herbst 2025 an.

    DEN. LAUNCH. SEINER. APP.

    APP.

    Als ob nicht alles im Browser ginge, es RSS und Mail nicht gäbe. I can’t even….

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