Zweieinhalb Jahre OnlyFans

OnlyFans statt Arbeit, Reichtum und Wohlstand, ein glückliches Leben, Slavoj Žižek und Kung Fu Panda in einem Blogbeitrag? Auch nicht schlecht.

Nach zweieinhalb Jahren auf OnlyFans denkt eine 28-Jährige Frau über ihren Ruhestand nach. Sie hat die Sache ernst genommen und, sofern man ihrem Beitrag auf reddit trauen kann, ganz gut verdient.

About two and a half years ago, amidst the uncertainties of the pandemic, I embarked on a venture: a faceless OnlyFans account. This decision would unexpectedly catapult me into financial independence. To this day, I’ve netted around $4,000,000 post-OnlyFans‘ 20% cut. […] I committed myself fully, putting in 12+ hours each day, every day. Without skipping a single day. On average, I am bringing in around $5k per day or $130k a month.(Lowest month was my first at 25k and highest was around 300k last summer.)

Das sind schon ganz schöne Zahlen, die verdeutlichen, wie gut man sich auf OnlyFans verkaufen kann. Um die Zahlen geht es mir aber gar nicht. Viel spannender finde ich nämlich die Begründung, die so nebenbei – in dem reddit, in dem der Beitrag gepostet wurde, geht es an sich um finanzielle Unabhängigkeit – als Hintergrundinformation erwähnt wird: Wie kommt eine Person mit abgeschlossenem Studium dazu, ihr Können verpuffen zu lassen und stattdessen über OnlyFans Geld zu verdienen?

Raised in a trailer park, I was the first in my family to attend college. I worked hard to earn both a bachelor’s and a master’s degree in STEM. However, after a year in the traditional workforce, I realized it wasn’t for me. The commute, the insincerity, the constant need to dilute myself– it was all too much while I can be doing naked yoga for 5 minutes and get paid for it. It’s what I do, post a couple of pictures and a video every day by myself.

Was ist da los? Warum lese ich in letzter Zeit immer und immer wieder von solchen oder ähnlichen Geschichten vor allem von jungen Menschen? Ich glaube, der gegenwärtige Zustand unserer Gesellschaft, der es de facto für uns alle, die wir nicht das Glück haben, irgendeinen Jackpot zu knacken (im Klartext: zu erben oder einfach enormes Glück zu haben), unmöglich macht, substantiellen Wohlstand aufzubauen, wirkt sich nicht mehr als eine zu überkommende Ausnahme auf unser Denken aus, sondern ist mittlerweile so sehr verinnerlicht, dass das Streben nach Glück mit allen Mitteln und unter Inkaufnahme des Brechens gewisser bis dato herrschender Vorbehalte erfolgt. In anderen Worten: Was noch vor ein paar Jahren womöglich verpönt war, ist heute völlig egal. Das Ergebnis zählt. Und wenn ich mir vor Augen halte, wie der Weg dorthin aussieht, dann stehen sich hier Zustände gegenüber, die die Entscheidung der damals 26-Jährigen rational erscheinen lassen.

Auf der einen Seite ein Leben, das von Pendeln, Unaufrichtigkeit und der kontinuierlichen Anforderung, die eigene Persönlichkeit zurückzunehmen, geprägt ist. Wenn ich mich in meinem Bekanntenkreis umhöre, kann ich das auch noch um Frustration, einem toxischen Gemisch aus inkompetenten Vorgesetzten und geballtem Unverständnis vonseiten derer, die über die finanziellen Mitteln verfügen, Dinge gut oder schlecht zu machen, ergänzen. Das sind Arbeitstage, die man als andere Person, quasi als menschlicher Automat absolvieren muss, und Arbeitsjahre, die man als etwas anderes als man selbst verbracht hat. Am Ende dieses Arbeitslebens fallen kaputte, seelisch entleerte Menschen aus einem Arbeitsumfeld heraus, die versuchen, ihr Leben in ein paar wenigen Jahren nachzuholen. Natürlich scheitern sie kläglich: Herzinfarkte, Schlaganfälle oder während der Arbeitsjahre hochgezüchtete Krankheiten beenden den Spaß dann auch schon nach wenigen Jahren. Krankheit, Pflege und das war’s. Die Bilanz: Jahrzehnte in einem Job verbracht, den man von morgens bis abends gehasst hat, eine tote Persönlichkeit, und obwohl man wie eine Maschine gearbeitet hat, hat man im Vergleich zu Glückspilzen (siehe oben) einen Dreck verdient und oben drauf noch sein Leben beendet, bevor es überhaupt begonnen hat.

Auf der anderen Seite die OnlyFans-Variante. Ein paar Minuten nackt Yoga machen, sich dabei filmen und in ein paar Jahren mehr verdienen als im gesamten Leben in einem regulären Job. Tun, wie man möchte, sein wie man will. Sicher, auch diese Arbeit ist hart, aber sie greift – und das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen – nicht so hart die eigene Persönlichkeit ein. Außerdem bedeutet mehr Arbeitsstunden auch mehr Einkommen für einen selbst. Dass es mehr und mehr Akzeptanz für diese Art von Berufen gibt, kann ich zwar nur abstrakt, aber doch nachvollziehen.

Auf reddit kommen Zweifel auf, ob das, was die anonyme Autorin da schreibt, tatsächlich die Wahrheit ist oder ein von OnlyFans gezielt veröffentlichter Beitrag, der letztendlich doch nur die Plattform bewirbt. Und ja, vieles spricht dafür, denn einige der Absätze auf reddit, sind, um das angebliche Kernproblem – kann ich es mir eigentlich leisten, mit 28 in den Ruhestand zu treten – zu beschreiben, wirklich nicht notwendig. Doch auch wenn dem so sei, ändert das nichts am Nerv, den OnlyFans mit so einem Beitrag trifft oder treffen möchte: Die allgemeine Unzufriedenheit in einem aussichtslosen und von tatsächlichen Karrierechancen befreiten Arbeits- und Berufsleben zum Thema zu machen.

Vielleicht sollten wir uns das einmal näher ansehen, Politik? Vielleicht sollten wir in Frage stellen, was und wie wir über althergebrachte Dinge wie Karriere, Wohlstand, Gesundheit, Familie und so etwas fast schon esoterisch wirkendes wie ein glückliches Leben denken? Es gab Zeiten, in denen „die Götter“ das Heilsversprechen darstellten. Dann gab es „den Gott“. Dann war es „das Geld“. In allen Erzählungen ist die Erlösung das gemeinsame Merkmal. Egal nun, ob Götter, Gott oder Geld, einmal beseelt und beschenkt, können wir zurück in einen Zustand, wie ihn der Garten Eden beschreibt: So leben, wie wir sind. So sein, wir wir sein wollen. – Was aber, wenn Gott, Götter und Geld entlarvt und die Hoffnung darauf in bitteren, dem Leben entgegengebrachten Zynismus umschlägt? In meinen Augen sind wir als Gesellschaft genau da. Das erinnert schon gewaltig an die Aussage Slavoj Žižeks über den Film Kung Fu Panda, in dem er auf das Paradoxon hinweist, in etwas zu glauben, von dem man eigentlich weiß, dass es nicht glaubhaft ist?

If you ask me for really dangerous ideological films, for ideology at its purest, I’d say Kung Fu Panda. I saw it five times because my son likes it. The movie is extremely cynical in that you know they make fun of all this ideology, of Buddhism and these things, but the message is even though we know it is not true and we make fun, you have to believe in it. It’s this split of you know it’s not true but just make like you believe in it.

Slavoj Žižek (vulture.com)

Ist es so? Machen wir uns über unser Arbeitsleben lustig, leben wir in einem dauernden Zynismus, halten wir die Botschaft aufrecht und glauben wir nach wie vor an sie, obwohl wir wissen, dass sie falsch ist? OnlyFans statt Arbeit, Reichtum und Wohlstand, ein glückliches Leben, Slavoj Žižek und Kung Fu Panda in einem Blogbeitrag? Auch nicht schlecht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert