Apple Vision Pro für die, die gelebt haben

Apple hat seine Datenbrille Vision Pro vorgestellt und ich habe mir das Intro-Video angesehen, das eine isolierte Zukunft für jede:n Einzelne:n darstellt. Ein paar Gedanken.

Ich habe mir die Keynote angesehen. Ich habe mir die Videos und Demos zu Apple Vision Pro angesehen und bin begeistert, dass die Datenbrille de facto als fancy Bildschirmersatz präsentiert wurde. Viel mehr aber, dass Apple sich nicht zur Peinlichkeit hinreißen hat lassen, ein Metaverse (oder wie auch immer man das nennen soll ohne auf Facebook zu referenzieren) damit aufzuziehen. Sehen wir uns aber dennoch einmal den Werbeclip zu Apples Datenbrille und die darin kommunizierten Anwendungsfälle und -situationen an. Besonderes Augenmerk soll auf der sozialen Interaktion liegen, und wie sie mit einem Device am Kopf funktionieren soll, das auf den ersten Blick eben diese Interaktion unmöglich zu machen scheint.

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Apple stellt in der ersten Minute das Produkt vor und zeigt, wie man einen Browser oder die Fotos-App mit der Datenbrille benutzen kann. Okay. Die erste soziale Interaktion, die mir Apple zeigt, ist eine Unterbrechung. Eine Person sitzt mit der Brille am Kopf auf der Couch und sieht sich gerade Bilder an, da kommt eine zweite Person und setzt sich dazu. Was ich mir nun erwarten würde, wäre, dass die mit dem Trumm am Kopf kurz ihre Tätigkeit unterbricht und die Datenbrille abnimmt, ein kurzes Gespräch führt und sie im Anschluss wieder aufsetzt. Was passiert, ist aber das genaue Gegenteil: Während die Stimme aus dem Off erklärt, dass es „foundational to Apple Vision Pro“ sei, „that you’re not isolated from other people“, stellt die Szene das genaue Gegenteil dar. Das Signal, dass die Trägerin der Datenbrille der anderen Person sendet, in dem sie die Brille eben nicht abnimmt, ist, selbst wenn Apple uns die Augen der Person zeigt: Bitte geh weg!

Ist das nur mein Eindruck? Nein, auch Oliver Reichenstein sieht das so.

Wearing VR gear puts a buffer on all your senses (ears, sight, touch get at least partially isolated). Most prominently though: Eye contact and the inevitable isolation it creates when direct eye contact is missing. Don’t tell me „they fixed that“ with the simulation of the wearer’s eyes. […] Direct eye contact is a high traffic communication path that works on a fundamental […] level.

Oliver Reichenstein

In der zweiten Szene, die Apple uns zeigt, sitzt der Vater zweier Kinder auf der Couch und filmt seine vor ihm spielenden Kinder mithilfe der Vision Pro. Als ich, um diesen Absatz zu schreiben, das Video bei genau 2:01 angehalten habe, konnte ich die folgende Szene sehen: In einem recht dunklen Wohnzimmer spielen zwei Kinder mit Seifenblasen mitten im Raum. Davor kniet ein Mann mit der Datenbrille am Kopf und sieht die beiden an. Dass wir Zuschauer wissen, dass er sie gerade filmt, macht die Situation unendlich unangenehm und creepy. (Oder kommt auch das nur mir so komisch vor?) Es sind gerademal 2 Minuten vergangen und jetzt schon will sich dieses Produkt nicht und nicht dort bei mir eingliedern, wo Apple gerade versucht, es einzugliedern.

Die Szenen 3, 4 und 5 sind zum ersten Mal welche, die ich gut nachvollziehen kann und die mich nicht stören. In der einen macht eine Frau alleine im Raum Yoga und hat dabei die Brille auf, die eine Animation im Raum anzeigt. In der anderen sieht sich jemand einen Film an und in der dritten Szene spielt jemand ein Computerspiel. Allerdings sind das alles Szenen, in denen Personen alleine gezeigt werden. Ohne soziale Interaktion im physischen Raum. Die Frau macht alleine Yoga, sieht sich alleine einen Film an und auch der, der das Computerspiel spielt, spielt alleine. (Wow, 3× „spielt“ hintereinander. Kommt auch nicht so oft vor!)

Der Clip wechselt nun das Thema und zeigt die Anwendungsmöglichkeiten der Datenbrille in der Arbeitswelt. Was hier gezeigt wird, finde ich richtig gut. Webbrowsing im virtuellen Raum, nice. FaceTime und andere Apps, alles cool. Was mir besonders gut gefällt: „Connect to your Mac simply by looking at it. Turning a 13 inch screen into a giant display.“ Es folgt eine Abschlussszene im Flugzeug, in der eine Person die Brille einschaltet und sich graduell vom Rest des Geschehens in der Passagierkabine isoliert: „You control just how immersed you want to be.“ Nice. Und auch ehrlicher als dieser creepige Einstieg: Die Brille ist da, um sich vom Rest der Welt zu isolieren und nicht, um mit ihr zu interagieren. Wer diese Prämisse akzeptiert, akzeptiert auch die Brille. Wer, wie das Apple leider tut, krampfhaft versucht, die Brille wie einen Alltagsgegenstand darzustellen und zu verstehen, erlebt einen sozialen Uncanny Valley-Effekt.

Es folgen einige Szenen, in denen die Technologie in für Apple typischer Weise (ja, das Wort „magical“ kommt vor) präsentiert wird. Wir überspringen diese Szene hier in der Beschreibung und sind somit am Ende des Clips.

Wenn ich mir den Clip so ansehe, fällt eines sofort auf: Apple Vision Pro ist ein Device, das alles gut macht, was es verspricht, aber definitiv nicht erfüllt, was gleich am Anfang gesagt wird. Die Datenbrille isoliert mich nämlich, sehr sogar. Und so krampfhaft der Clip dem auch zu widersprechen versucht, in dem Szenen mit Interaktionen zwischen Menschen im physischen Raum gezeigt werden… In keiner dieser Szenen erwische ich mich nicht dabei, eine emotionale Distanz zur Situation aufzubauen und sie als filmische Darstellung eines Ereignisses zu verstehen, die auf einer nur im Film existierenden Logik aufbaut und in der realen Welt keinen Sinn machen würde. Oliver Reichenstein hat recht, wenn er schreibt, dass der Blick auf eine Person, die die Brille gerade aufhat, diese Person „prisoned, fooled, trapped, [and] stupid“ oder, wie im Falle des Vaters, der auf seine Kinder schaut, „like a complete idiot“ erscheinen lässt.

[S]eeing father and child separated made us gasp without fully analyzing the phenomenological depth of the shock. We knew this is wrong without analyzing in detail what the exact reason is. Seeing the father phenomenologically separated from the children may contribute the wrongness of the image because we’re already infamously absent from the upbringing our children. By filming you are absent from the moment to preserve it for a later time. But then you won’t really be in the moment either when you rewatch it. You will be present in your past absence if you relive it. Photos can sometimes make us forget that. But there are always traces of it. 3D will crystallize that the person taking the shot was not really there. You’ll see it mirrored in your children’s eyes and body language.

Oliver Reichenstein

Es fühlt sich jetzt schon etwas eigen an, wenn Eltern ihre Kindern beim Spielen andauernd filmen und ihnen so durchs Smartphone beim Leben zuschauen, anstatt es mitzuerleben. Das Eintauchen in ein von der Datenbrille erweitertes Universum und die Reduktion des eigenen Lebensraums auf ein Hintergrundbild oder des lebenden Umfelds auf Motive, verstärkt diesen Effekt für mich nur.

Ich kann es mir nicht anders vorstellen und glaube daher, dass die Datenbrille seine Nutzer:innen vom Geschehen isolieren wird. Zwar mit feinsten Stoffen, ausgeklügelter Technik und mit einer Akkulaufzeit von zwei Stunden (oder einem Tag, wenn am Stromnetz), aber dennoch. Das ist perfekt fürs Arbeiten. Und so, also im Kontext von Arbeit, kann ich mir den Einsatz der Datenbrille auch gut vorstellen. Außerhalb dieses Bereichs sieht die Sache aber ganz anders aus. Ich glaube, die Apple Vision Pro ist ein perfektes Gerät für Menschen, die isoliert sein wollen oder für solche, die nichts dafür können, isoliert zu sein. Sie sitzen dann in abgedunkelten Räumen und sehen sich Fotos und Videos längst vergangener, glücklicherer Zeiten an, in denen sie zwar noch keine Datenbrille, dafür aber ein Leben hatten.

Aktualisierung am 11. Juni 2023

Auch Scott Galloway sieht die Sache mit der Apple Vision Pro skeptisch und in der Datenbrille Apples ersten wirtschaftlichen Flop des Jahrhunderts. Auch er sieht ein Problem darin, dass uns die Datenbrille voneinander isoliert, indem sie uns einschränkt, anstatt uns zu bemächtigen. Was ist damit gemeint?

We’re highly discerning about what we put on our face, as it must enhance, not impair our ability to assert dominance, attract mates, and make connections. Jewelry signals wealth and strength. The $250 billion cosmetics industry helps us mimic visual cues for health and reproductive fertility. There is no version of a headset or goggles that makes us seem more appealing. None.

Und weiter:

We are mammals, and mammals suffer when we are not in the physical presence of other mammals — whether you are an orca isolated in a tank, a dog left at home alone, or a consumer sequestered behind your latest expensive gadget. Real grief, rejection, joy, eroticism, victory, and love are experienced in the presence of others. Headsets render us nauseous, uncomfortable, and alone. Worse, they make us less human.

In seinem Artikel erwähnt Scott Galloway übrigens auch die fürchterliche Szene mit dem Vater, der seine Kinder filmt und sieht fast das ganze Promotionvideo als Relikt der Pandemie an, da alle Figuren einsam und isoliert agieren und Gemeinsamkeit nur vermittels FaceTime erfolgen kann. Was ich aber aus Scott Galloways Artikel herauslese, ist eine Umkehrung: Vielleicht ist die Datenbrille nicht Beschleuniger, sondern die zum Produkt erkorene Lösung für eine Zeit, die von übermäßiger Vereinsamung geprägt ist? Vielleicht ist sie perfekt für all diejenigen, die sich den Gedanken an ihre Einsamkeit nicht eingestehen wollen und ihn durch kontinuierliches Tweeten oder sonstige Aktionen in den sozialen Medien oder sonstwo, solange nicht physisch und in Gesellschaft, zu unterdrücken versuchen? Wenn ich mir meine Twitter-Timeline ansehe, dann fahren genau diese Personen stark auf die Idee dieser Brille ab und loben sie haushoch.

Der Schluss ist aber derselbe, mit oder ohne Scott Galloway. Die Vision Pro ist ein Token für Einsamkeit und Zugang zu einem längst vergangenen oder fremden Leben. Sie ist, benutzt man sie so, wie Apple es vorschlägt und im Promo-Video auch zeigt, ein technisches Mittel, um das Leben noch mehr zu unterdrücken, sich noch mehr zu isolieren und sich stattdessen im Nachhinein in Wehmut und eingeredetem Glück über die Fotos und Videos zu freuen, die man sich mit der Brille ansieht, während man sich darüber ärgert, dass die Tränen an den exklusiven Materialien der Brille dann doch hängenbleiben und unschöne Flecken bilden.

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