Zoomen wir doch einmal etwas raus aus dem ganzen Lebenslauf-Hustle, mit dem sich vor allem junge Menschen gerne auf Trab halten, und sehen wir uns doch einmal an, was „Ausbildung“ mittlerweile in den meisten Fällen bedeutet. Wenn ich von den „meisten Fällen“ spreche, dann geht es mir explizit nicht um Personen, die aktiv und mit Interesse Fachwissen ansammeln, verarbeiten und darauf hoffen – und sich das auch wünschen! – es in ihrem weiteren Berufsleben bestenfalls kontinuierlich anwenden zu können. Ich spreche also weder vom seit seiner Kindheit am Fach interessierten Archäologen oder von der seit ihrer Kindheit daran interessierten Veterinärmedizinerin, die nun, beide im Erwachsenenalter und mit abgeschlossener Ausbildung, ihrer Arbeit bezahlt nachgehen können. Ich spreche von den gefühlt 99,999 Prozent der Menschen, die sich in zwei Gruppen aufteilen.
Die eine Gruppe der 99,999 Prozent hat eine Ausbildung abgeschlossen, die sich nicht mit ihren Interessengebieten deckt, damit die dieser Gruppe zugehörigen Menschen eine Ausbildung vorweisen können, die die Chance erhöht, in irgendeinem Unternehmen, das irgendetwas produziert, das diese Menschen nicht wirklich interessiert, einen Arbeitsplatz zu bekommen. Ein frustriertes, unglückliches Arbeitsleben ist diesen Menschen sicher, noch bevor sie den ersten Arbeitstag hinter sich gebracht haben. Ebenso ist, sofern das die finanzielle Situation erlaubt, auch sicher, dass diese Menschen im Alter zwischen circa 27 und 35 Jahren die Reißleine ziehen und eine neue, gänzlich anders gelagerte Ausbildung absolvieren, um dann in einem Job zu arbeiten, der sie glücklich macht. Gerade der letzte Aspekt ist alles entscheidend und wird in der primären Wahl einer Ausbildung de facto nicht berücksichtigt. Das sind de facto verlorene 15 Jahre, die diejenigen, die schlau sind, nutzen, um eine Familie zu gründen oder sich zumindest im Privatleben den Dingen zu widmen, die sie wirklich interessieren.
Die andere Gruppe hat entweder eine Ausbildung abgeschlossen (und ist unglücklich damit) oder aber eben auch nicht, was sich in beiden Fällen daraus ableitet, dass sie entweder keinen Match für ihr Interessengebiet findet oder – noch schlimmer, aber definitiv nicht zu unterschätzen, da es so häufig vorkommt – nicht weiß, was sie wirklich interessiert oder sich, oftmals beeinflusst von von außen imaginierten Zwängen, nicht eingestehen will, dass sie ein bestimmtes Gebiet interessiert. Häufig, sehr, sehr häufig, werde ich in Gesprächen mit Menschen, die fest im Berufsleben stehen, aber todunglücklich sind, mit der Aussage konfrontiert, dass sie „eigentlich“ und „am liebsten“ dieser und jenen Tätigkeit nachgegangen wären, weil sie sie glücklich gemacht und ihr Leben zum positiven verändert hätte. Aber – und dann kommt der wehmütige Nachsatz – die Jobchancen oder Verdienstmöglichkeiten in ihrem Interessengebiet wären ja de facto nicht vorhanden. Das ist aber der positive und seltene Fall. Viel eher noch höre ich, und da zähle ich Menschen in den 40ern, 50ern und in noch höherem Alter mittlerweile dazu, dass sie bis heute nicht wüssten, was sie wirklich interessiere.
Da sind wir also nun. Auf der einen Seite gibt es diejenigen, die bewusst eine Ausbildung abschließen, auch wenn das, worin sie ausgebildet ist, nicht ihrem Interessengebiet entspricht; und auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die sich ihrer Interessen nicht bewusst sind oder offenbar keine haben, und trotzdem irgendwie einem Beruf nachgehen, an den sie sich, man kann es nicht besser formulieren, wohl oder übel gewöhnt haben.
Und jetzt passiert etwas, das mein Interesse geweckt hat: Aktuelle Stellenausschreibungen weisen immer seltener Anforderungen an die Ausbildung auf. In den USA ist es bereits mehr als die Hälfte der Job-Ausschreibungen, bei denen keinerlei formale Kriterien in Bezug auf die Ausbildung zu erfüllen sind (schlichtweg, weil sie nicht angeführt sind). Gleichzeitig ist der Anteil an Stellenausschreibungen, die überhaupt einen Hochschulabschluss fordern, auf unter 20 Prozent gesunken.
Employers are loosening their formal education requirements as the labor market remains tight and attitudes towards skills-first hiring practices change. Those same employers seem more willing to consider candidates who can demonstrate the required skills without necessarily having a degree. Fewer than 1-in-5 (17.8%) US job postings on Indeed required a four-year degree or more in January 2024, and a majority (52%) did not include any educational requirements at all, up from 48% in 2019. […] It’s hard to talk about skill requirements and the future of work without looking at artificial intelligence and GenAI. In previous research, Hiring Lab analyzed skills found in more than 55 million US job postings and evaluated GenAI’s ability to perform those skills […] Exposure to GenAI was generally highest for knowledge workers and in tech categories including software development, IT operations & helpdesk, and information design & documentation. Exposure was typically lowest in many hands-on, in-person roles — including driving, child care, and beauty & wellness — that generally require less formal education.
Hiring Lab
Das ist die eine Seite. Die – leider nur zu gut verständliche – andere Seite, ist in ihrer Aussage härter. Die, nämlich, der Auszubildenden oder derjenigen, die ihre Ausbildung vor kurzem abgeschlossen haben. In der Generation Z wird die Ausbildung an einer Hochschule überhaupt bereits als Zeit- und Geldverschwendung angesehen; und Vorgängergenerationen sehen das noch, aber nicht viel, anders.
As artificial intelligence floods the workplace, nearly half of Gen Z job seekers say their degrees have already been made obsolete by the rise of generative AI tools like ChatGPT — and they’re wondering why they even bothered hitting the books in the first place. […] Only about one-third of millennials feel the same way, and just 1 in 5 boomers have similar regrets, as CIO Dive reports. […] Employers aren’t just looking for folks with fancy paper — they’re looking for people who know how to work with the machines. […] The pressure to adapt is real. From entry-level roles to the C-suite, AI is transforming not just how people work — but what they work on, how they’re paid, and even who gets hired.
New York Post
Ist also alles nur noch Künstliche Intelligenz? Ist eine Ausbildung eigentlich nichts mehr wert? Im Atlantic geht Derek Thompson sogar so weit, Künstliche Intelligenz als einen Grund für den Anstieg der Arbeitslosigkeit bei Absolventen diverser Hochschulen anzusehen. KI ist als teilnehmende Kraft am Arbeitsmarkt und kann das, wofür man bislang die Absolventen diverser Ausbildungen eingesetzt hat.
“When you think from first principles about what generative AI can do, and what jobs it can replace, it’s the kind of things that young college grads have done” in white-collar firms, Deming told me. “They read and synthesize information and data. They produce reports and presentations.” […] As law firms leaned on AI for more paralegal work, and consulting firms realized that five 22-year-olds with ChatGPT could do the work of 20 recent grads, and tech firms turned over their software programming to a handful of superstars working with AI co-pilots, the entry level of America’s white-collar economy would contract. […] And even if employers aren’t directly substituting AI for human workers, high spending on AI infrastructure may be crowding out spending on new hires.
Derek Thompson
Auf der einen Seite also Menschen, die nicht wirklich wissen, was sie wollen, andererseits, wenn sie es wollen, das System, das ihnen eine Ausbildung ermöglicht, infrage stellen. Und dann noch ein sich wandelnder Arbeitsmarkt, der KI-Skills vor alle anderen stellt. Was kann Ausbildung da noch liefern, das für irgendwas, außer das persönliche Gefühl, einer Bildungselite anzugehören, befriedigen kann? Vor allem aber: Wenn ein Abschluss (akademisch oder nicht) so schnell von Künstlicher Intelligenz ersetzt werden konnte, welchen Wert hatte er dann jemals? Welchen Wert hatte die Ausbildung an sich?
Ich kann die Kritik, eine Ausbildung sei vergeudete Zeit und vergeudetes Geld, in gewissen Teilen nachvollziehen. Vieles, das auch ich mitgemacht habe, war beides. Hauptsache, so haben ich und meine Kommilitonen sich andauernd vorgehalten, den Schein, das Zeugnis oder die Prüfung in der Tasche haben. Und ich denke, genau das bringt uns an den Punkt, der das Thema Ausbildung vom Nimbus der akademischen Elitenbildung befreit und brutal ans Tageslicht holt, was mittlerweile ein völlig gängiger Weg ist, so eine Ausbildung abzuschließen: Das Sammeln von Bewertungen diverser Arbeiten und das stupide Aneinanderreihen von Abschlussprüfungen, bis endlich alle Punkte (ECTS?) erfüllt sind, die einen finalen Studien- oder Ausbildungsabschluss ermöglichen.
Wenn aber die auf die Ausbildung bezogene Schnitzeljagd wirklich nur das Aneinanderreihen von Seminararbeiten und Meisterstücken ist, was ist das dann eigentlich noch? Wenn Studentinnen und Studenten ihre Arbeiten mithilfe Künstlicher Intelligenz verfassen (und ihre Tutoren, Professoren und andere, die sie bewerten sollen, diese Arbeiten wohl auch mithilfe von Künstlicher Intelligenz aus- und bewerten), ist es dann ein allgemeines Problem einer Ausbildung oder stellt sich gerade vor unseren Augen heraus, dass das Momentum der Ausbildung, also der Transfer oder Erwerb von Wissen, ohnehin immer schon woanders und zu einem anderen Zeitpunkt stattgefunden hat? Und entpuppt sich das Bildungssystem, dem wir fröhnen und das wir, teilweise romantisiert, jedenfalls aber immer retrospektiv relativ positiv bewertet darstellen, als völlig am eigentlichen Ziel vorbei schießend?
Wenn dem nicht so sein sollte und der Aufbau einer Ausbildung auch auf seine pädagogische und wissensbildende Effektivität ausgerichtet ist, warum schummelt sich dann ein Großteil derer, die daran teilnehmen, durch? Warum freut es niemanden, eine Seminararbeit zu verfassen oder ein Lehr-, Meister- oder Diplomstück anzufertigen? Warum kommt ChatGPT so dermaßen häufig zum Einsatz? Warum geben diejenigen, die die Ausbildung freiwillig gewählt haben, das, was sie freiwillig gewählt haben, an eine KI ab und bezahlen dafür auch noch?
Gegenfragen: Würde jemand, der Computerspiele spielt, eine KI die Spiele spielen lassen? Nein. Aber wenn genau das im Rahmen einer Ausbildung geschieht, dann wundern wir uns nicht. Würde jemand, der ein sportliches Ziel erreichen will, einen von einer KI gesteuerten Roboter dieses Ziel erreichen lassen? Nein. Aber genau das passiert während der meisten (akademischen) Ausbildungen. Würde ein Mönch eine KI seine Meditationsroutinen durchführen, eine Künstlerin eine KI ihr Werkstück anfertigen lassen? Nein, hält man auf X fest, denn sobald ein Prozess und sein Ergebnis aufeinander abgestimmt sind, gibt es keinen Anreiz zu schummeln und eine KI einzusetzen.
Sieht man genauer hin, ist des scheinbaren Widerspruchs Lösung augenscheinlich: Es geht nicht um Ausbildung (oder gar Bildung). Es geht um den Erwerb von Zeugnissen, Titeln und Abschlüssen. That’s it. Könnten junge Menschen sie kaufen, würden sie sie kaufen ohne auch nur einen einzigen Text zu lesen oder ein Buch zu studieren.
has anyone stopped to ask WHY students cheat? would a buddhist monk „cheat“ at meditation? would an artist „cheat“ at painting? no. when process and outcomes are aligned, there’s no incentive to cheat. so what’s happening differently at colleges? […] by revealed preference, students must think the work they do in class is a waste of time. fake bonding activities and „hippie gardening“ clearly aren’t worth their time, so they outsource to AI. anything „fun“ or interesting, they still do by hand. […] we cram for tests. we copy from wikipedia. we distort our learning to match the legible, regimented evaluation metrics. getting good grades and learning are constantly at odds in modern education. […] the ivies are about elite production and networking. For ivies, all schoolwork is a distraction. Zuckerberg learned a lot from Harvard, but never in a class. He got what he needed and dropped out. […] college kids want to get a job. why do they pay $10k+ and 4 years to get a degree, but then they skip or cheat on all the learning? ask a student, they’ll tell you: most of that learning doesn’t translate to job performance. the degree matters more than the learning. […] our society should care about more than just job skills. but when you force chemical engineers to study Descartes, or high-minded philosophers to learn Excel — yeah, they’re gonna cheat. you’re wasting their time. maybe they should want to be more well rounded! but they don’t.
@meatballtimes
Was also können wir aus dem Verhalten der Studierenden und ihrer Lehrerinnen und Lehrer entnehmen, wenn sie all die Prüfungen, Aufgaben und Arbeiten, die den (akademischen) Ausbildungsprozess nicht nur begleiten, sondern tatsächlich bestimmen, in Wirklichkeit zutiefst verabscheuen, und als Lästigkeit ansehen, der man nachkommen muss, um irgendwelche Formalkriterien zu erfüllen, die niemanden auch nur im Geringsten interessieren? In anderen Worten: Kann es sein, dass der Besuch einer Hochschule für die allermeisten unter dem Gesichtspunkt von Karriere und Aufstiegschancen sich tatsächlich als verschwendete zeitliche und finanzielle Ressource entpuppt?
Wenn dem tatsächlich so ist – und ich kenne nur sehr wenige, die ohne Kritik an ihre Ausbildungsphase denken, vor allem unter den heute Jungen -, dann gilt es, sich zwei ganz essentielle Fragen zu stellen:
- Welche Anforderungen stellen zukünftige Arbeitgeber an die Ausbildungsindustrie, die letztere so dermaßen schlecht erfüllt, dass erstere eigene Ausbildungsprogramme starten oder – wie oben erwähnt – Kriterien, die sich aus der Ausbildung ableiten, nicht mehr als Voraussetzung für eine Arbeitsstelle anführen? Anders formuliert: Hält die Ausbildungsindustrie an Standards fest, die längst überholt sind und sich nunmehr für ihren Output, also ausgebildete Menschen, nur noch in ganz seltenen Fällen als Vor-, in den meisten Fällen aber eben als finanzieller und zeitlicher Nachteil entpuppt?
- Kann es sein, dass Oberstufe und Hochschule in einer eben von Künstlicher Intelligenz beeinflussten – bald aber davon schon geprägten – Unternehmenswelt so dermaßen an Wert verlieren, dass sie sich de facto selbst abschaffen? Oder ist es dieses im Lichte dieses Artikels fast schon als „unnützes Wissen“ zu verstehender Zugang, den die Ausbildungsindustrie perpetuiert, der es denen, die den Lauf durchmachen, erst ermöglicht, am Ende Spreu von Weizen zu unterscheiden und somit Bewertungen durchzuführen, die ihnen, würden sie nur mit ChatGPT und anderen Systemen arbeiten, die nur sehr schlecht bewerten können, fehlen würde?
Wer es in den nächsten Jahren spannend haben möchte, sollte sich dem Thema Bildung widmen. Denn in meinen Augen sind die Systeme, die bislang Ausgebildete produzieren, nicht nur nicht mehr zeitgemäß, nein, sie richten sich auch nach einem Ziel aus, das niemand (mehr) erreichen will. Und nein, das Problem ist nicht erst mit ChatGPT aufgekommen; der Verfall hat schon viel früher begonnen.
The ideal of college as a place of intellectual growth, where students engage with deep, profound ideas, was gone long before ChatGPT. The combination of high costs and a winner-takes-all economy had already made it feel transactional, a means to an end. […] In a way, the speed and ease with which AI proved itself able to do college-level work simply exposed the rot at the core. “How can we expect them to grasp what education means when we, as educators, haven’t begun to undo the years of cognitive and spiritual damage inflicted by a society that treats schooling as a means to a high-paying job, maybe some social status, but nothing more?” […] Some early research shows that when students off-load cognitive duties onto chatbots, their capacity for memory, problem-solving, and creativity could suffer. Multiple studies published within the past year have linked AI usage with a deterioration in critical-thinking skills; one found the effect to be more pronounced in younger participants. […] The problem may be much larger than generative AI. The so-called Flynn effect refers to the consistent rise in IQ scores from generation to generation going back to at least the 1930s. That rise started to slow, and in some cases reverse, around 2006. “The greatest worry in these times of generative AI is not that it may compromise human creativity or intelligence,” Robert Sternberg, a psychology professor at Cornell University, told The Guardian, “but that it already has.”
New York Magazine
Und das ist unsere Zukunft, Leute!