Der Jurist und Datenschutzexperte Malte Engeler formuliert auf Mastodon einen interessanten Gedanken zum von Cory Doctorow geprägten Begriff der „Enshittification“. Der Begriff beschreibt an sich ein Phänomen, das die mit der Zeit fast natürlich erwachsenden Probleme digitaler Plattformen und Services bezeichnet, tatsächlich aber, so Malte Engeler, verschleiert das Konzept gleichzeitig auch das diesen Services zugrunde liegenden Prinzip und deradikalisiert somit die ihm potentiell innewohnende Kritik.
The fact that „enshittification“ as a term was successfully popularized in public discourse seemed like a win to me at first. […] It accurately serves as a synonym to „capitalist competition“ and „market“ (the driving dynamics behind the problems of platforms and digital services). It did that and simultaneously offered a new vocabulary that did not immediately alienate liberals, much like „democratizing the economy“ replaced „economic planning“. […] Now it seems like the term achieved the opposite though. Much like Zuboffs „surveillance capitalism“ the term „enshittification“ has successfully replaced any structural criticism of capitalism. We are again left with talking about some unwelcome symptoms of (digital) capitalism while – unintentionally – reinforcing the idea that „competition“ and „markets“ are in fact working and suitable systems of economic organisation. It de-radicalized the debate instead of radicalizing it.
Malte Engeler
Es bleibt natürlich allen selbst überlassen, wie sie die Verschlimmscheißerung lesen, verstehen und interpretieren wollen, aber den Begriff zumindest in dem von Malte Engeler vorgebrachten Sinn zu lesen und zu verstehen, ist ein Gewinn, da er über das offensichtliche und von Cory Doctorow als Kritik getarnte Raunzen – eine zwar schlaue und publikumswirksame, tatsächlich aber meiner Meinung nach kraftlose Beschreibung der eigenen Unzufriedenheit – weit hinaus geht. Blickt man nämlich auf das Fundament des Konzepts, und genau das ist Malte Engelers Anmerkung bzw. Kritik, so setzt Enshittification auf den handelsüblichen Annahmen auf, die es eigentlich zu kritisieren gilt: Der Markt ist das Spielfeld des Wettbewerbs und der regelt dann eh alles.
Ein Begriff, mag er auch noch so kritisch erscheinen, verstärkt die ihm zugrunde liegenden Voraussetzungen in der Diskussion. Und anstatt diese Annahmen und Voraussetzungen diskursiv aufzubrechen und somit das Konzept mit einer radikalen, also bis ins Fundament hinein wirkenden Kritik auszustatten, um so die Debatte auf die allem zugrunde liegenden Probleme zu lenken, deradikalisiert der Begriff die Debatte, in dem er sich, will man ihn als Argument nutzen, dieser fundamentalen Kritik entzieht und als ziemlich zahnlos entpuppt.
Ich persönlich werde Doctorows Konzept der Enshittification wohl nie mehr nicht in der Engeler’schen Lesart verstehen wollen, aber das ist dann wohl meine Sache. Ich finde es aber durchwegs interessanter, die Eindimensionalität des Begriff um eine analytische, vor allem aber eine fundamental kritische Komponente zu erweitern, die sich mehr den systemischen Ursachen des Phänomens widmet und nicht den Auswüchsen verhaftet bleibt.