Googeln ist für Alte, aber eigentlich…

Googeln tun eh nur die Alten. Was das aber wirklich bedeutet, sollte auch den Jungen klar sein.

Kein Wochenende ist zu kurz, um nicht irgendwo über den Untergang von Google zu lesen. Diesmal ist es das Wall Street Journal, in dem Christopher Mims einen Artikel mit dem Titel „Googling is for old people. That’s a problem for Google“ veröffentlicht hat. Tatsächlich geht es nicht (nur) um die demografischen Probleme, sondern um drei Trends, mit denen Google zu kämpfen hat.

  1. Nutzerinnen und Nutzer suchen dort, wo sie die Informationen vermuten (zB nach Produkten direkt bei Amazon oder nach Empfehlungen direkt bei TikTok) und nicht mehr in einer allgemeinen Suchmaschine.
  2. Wenn Nutzerinnen und Nutzer nicht wissen, wo sie die Information finden können, dann ist nicht mehr Google die Suchmaschine, auf die sie zurückgreifen, sondern das, was man „Answering Engines“ nennt, also KI gestützte Systeme wie ChatGPT oder Perplexity.
  3. Alledem zugrunde liegt ein viel breiteres Problem, nämlich der langsame Verfall des offenen und freien Internets, auf dem Google aufbaut. Google ist allerdings selbst mitschuld am Verfall dieses Internets.

Besonders dieser letzte Punkt hat es in sich, denn Google hat für sich entschieden, den Verfall des offenen und freien Internets zu beschleunigen, in dem es selbst Daten aus diesem unendlich scheinenden Fundus extrahiert, den Gewinn aus diesen Daten aber nicht mit denen, die sie produzieren, teilt. Die kürzlich eingeführten AI Overviews sind nur ein Vorgeschmack auf das, was kommen soll. Dass der Konzern dabei auf dem Ast sägt, auf dem er sitzt, scheint ihm vorerst egal zu sein.

[A] trend that threatens Google is […] the degradation of the overall ecosystem of websites that Google has shaped, and on which it depends. […] Search results are declining overall, no matter how we search the web, because of the proliferation of AI-generated content. Absent any other trends, this would by itself be a huge problem for Google. But the company’s response—eliminating the need to click on links at all by offering AI-generated summaries—could accelerate the decline of the web. The reason is that the internet is an ecosystem, with Google as one of the primary providers of traffic—and therefore revenue. Without the traffic that Google sends across the web, the incentive and resources to continue producing websites attractive to Google’s search algorithm will decline. […] This process has already begun. […] The rate at which people clicked on ads that appear in search results was down 8% compared with a year ago […] It’s not clear why this is happening, but one logical conclusion is that it’s the result of Google’s own AI-based summaries, which eliminate the need to click on sponsored links or scroll down to where the ads are.

Wall Street Journal

Kyle Chayka hat sich schon im Mai die Frage gestellt, was noch irgendwen motivieren sollte, Informationen und Inhalte bereit zu stellen, wenn es keine Movitation und Belohnung in Form von Traffic von Google gibt, bei Reddit hat man erkannt, dass Anbieter von KI-Systemen oder Suchmaschinen wie Google bereit sind, für von Menschen gemachte Inhalte zu zahlen, denn alles, was automatisiert generiert wird, funktioniert noch weniger als die langweiligsten und peinlichsten, aber immerhin von Menschen geschriebenen Forumsbeiträge. Und klarer Weise darf in dieser Auflistung auch Edward Zitron nicht fehlen, der all das bereits im Juni unter dem Slogan „dem Internet beim Sterben zusehen“ zusammengefasst hat. Das Wall Street Journal bestätigt nun die Befürchtungen und Vermutungen.

Ich sehe in der Entwicklung bis hier her einen Aspekt zu selten, wenn überhaupt, erwähnt: Apps. Sie haben das, was wir das (freie und offene) Internet genannt haben, parzelliert und mit Mauern umgeben. Und nun verlangen sie Eintrittsgebühren in der einen oder anderen Form. Was sind schon die 20 Dollar, die man für ChatGPT zahlt? Das ist doch nichts! Dass uns diese Entwicklung nicht nur den Eintritt, sondern auch am Ende den Zugang zu einem offenen und freien Internet kostet, den der Browser bisher ermöglicht hat, ist ein für Unternehmen wenig populärer Gedanke, also muss er entwertet und in einem Kontext dargestellt werden, der auf uns befremdlich wirkt, von dem wir uns abgrenzen und mit dem wir nichts zu tun haben wollen. Und welche Abgrenzung funktioniert besser als die, die uns alle früher oder später betrifft? Ergo: Googeln ist nur etwas für Alte.

Daweil hat es ja ganz gut begonnen. Apps in ihrer ursprünglichen Ausformung waren doch nur Funktionserweiterungen, bevor sie umzäunte Gärten für kostenpflichtige Inhalte wurden. Was bisher geschah. Ein Abriss:

  1. Smartphones wurden zum primären Tool, um „ins Internet“ zu gelangen.
  2. Sowohl iOS als auch Android pushen das Konzept von Apps. Der Browser wird als allgemeiner Zugang zu einem offenen Internet auf diesen Devices und Systemen bewusst hintangestellt.
  3. Alle unternehmen, die es sich leisten können, entwickeln Apps. Dort verbessern sie die User Experience, während sie sie auf ihren Websites teilweise sogar verschlechtern oder (man denke an TikTok oder Instagram) gänzlich verhindern.
  4. Die Hersteller der großen mobilen Betriebssysteme, Apple und Google, erkennen die Wertschöpfung aus ihren App Stores. Technologien wie Web-Applikationen, die auf Smartphones Websites in app-ähnlicher Qualität ermöglichen würden, werden bewusst zurückgehalten oder gänzlich unterbunden.
  5. Das Internet wird ein App-Internet, eine voneinander bewusst getrennte Sammlung umzäunter Gärten. Apps werden besser und schneller für iOS und Android optimiert als es bei Websites der Fall ist. Sie bieten ab einem bestimmten Zeitpunkt eindeutig die bessere UX für die kleinen Geräte an.
  6. Das Resultat? Userinnen und User lernen, dass es für bestimmte Probleme bestimmte Apps gibt. „There’s an app for that“ entpuppt sich als Segen für die Verfügbarkeit von Funktionalität, gleichzeitig aber als Fluch für die Freiheit und Unabhängigkeit, mit der das offene Internet ursprünglich punkten wollte.
  7. Da – natürlich! – die Conversions und Nutzungswerte in Apps besser sind als die auf Websites, kommt es recht schnell, dass proprietäre Apps als Websites überlegen angesehen werden. Dass Unternehmen bewusst ihre Websites einschränken oder in der Bedienung mühsam machen, beschleunigt die Sache umso mehr.
  8. Immer mehr Unternehmen pfeifen gänzlich aufs offene und freie Internet, schränken die Funktionalität ihrer Websites ein, verschlechtern die Bedienung und die User Experience mehr und mehr. Und einige bieten ihre Services überhaupt nur noch über Apps an. Sie nutzen „das Internet“ nur noch als Datenebene, App statt Web lautet die Devise.
  9. Eine Suche im offenen Internet macht nur noch Sinn, wenn es um allgemeine Informationen geht. Das liegt vermutlich daran, dass es keine proprietäre Wikipedia-App gibt.
  10. KI-basierte Beantwortungsmaschinen übernehmen spätestens mit Ende 2023 den eben genannten Punkt, nachdem sie sich im offenen Internet ohne Kompensation derer, die die Informationen bereitgestellt haben, geholt haben, was zu holen war. Die erfolgreichen KIs verfügen natürlich über Apps und werden sie in Zukunft als den Web-Interfaces überlegen darstellen.

Der Wandel ist abgeschlossen: Aus dem allgemeinen, offenen und freien Zugang zu Informationen und Dienstleistungen auf einem Computer mittels Browser wurde ein auf Daten oder auf tatsächlichen Zahlungen basierender, somit kostenpflichtiger, jedenfalls aber thematisch auf verschiedene Apps aufgeteilter, eingeschränkter Zugang zu spezifischen Leistungen diverser Provider. Da wundert es nicht, dass die Menschen direkt bei Amazon nach Produkten suchen, bei TikTok nach Empfehlungen (BookTok, irgendwer?) oder die Apps von ChatGPT, Anthropic und anderen KI-Serices für allgemeine Wissensfragen nutzen. Eine allgemeine Suchmaschine, wie Google es ist, nutzen (nur noch) diejenigen, die das Internet auch noch als freien und offenen Raum mit diversen Leistungen und Produkten vieler verschiedener Anbieter zu kennen und zu schätzen gelernt haben. Und das sind dann wohl wirklich nur noch „die Alten“, also wir.

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