Die Schriftstellerin Leilah Lilienruh tut ihren Unmut über einerseits die gegenwärtige „Aufarbeitung“ der Corona-Pandemie seitens der Politik und andererseits die sich daraus ableitenden Konsequenzen in zwei Beiträgen auf Mastodon kund. Sie hat den einen Beitrag am 14. März 2025 auf Mastodon veröffentlicht, das ist 1.828 Tage seit der Ankündigung des ersten Lockdowns hier in Österreich, und 809 Tage nach dem quasi „offiziellen“ Ende, und den anderen einen Tag später. Leilah Lilienruh schreibt über Deutschland; in Österreich ist die ganze Sache nicht anders.
Die sogenannte „Aufarbeitung“ der Corona-Pandemie seitens der Politik geht mir momentan so ungeheuer auf den Senkel […]. Da wird sich ja prakt. rückwirkend arschkriecherisch für alles entschuldigt, was bei Ausbreitung einer wahnsinnig ansteckenden, weltweiten Seuche als Mindestmaß an Schutz notwendig war. […] Ich fühle mich mit Verlaub gesagt verarscht, wenn sich der Staat bei den Leuten für Dinge entschuldigt, die ausnahmsweise mal keiner Entschuldigung bedürfen. Wenn sich die Politik bei mir entschuldigen möchte, dann doch gefälligst dafür, dass sie Idioten ungestraft Polonaise durch die Straßen u. Lokale tanzen und Tote hat verhöhnen (u. verursachen!) lassen od. dafür, dass Kinder in Schulen mussten, obwohl es dort keine Luftfilter gab od. dafür, dass gute Masken nicht gratis verfügbar waren. Der nicht-schwurbelnde, nicht-menschenverachtend egozentrische Teil der Bevölkerung, jene, die sich mit wissenschaftl. Einsicht diszipliniert an die Regeln gehalten haben, – dieser Teil der Mitmenschen hat übrigens auch etwas „aufzuarbeiten“, näml. den Schock darüber, dass es einen anderen sehr großen Teil […] gibt, dem Regeln und Anstand sowie Leiden oder Tod anderer völlig schnuppe sind! Wie es uns mit diesem Trauma geht, da kräht nur kein Hahn nach.
Leilah Lilienruh
Und über die Auswirkungen dieser Art von Versöhnungspolitik dann einen Tag später.
Statt besserer Infektionsprävention, Bevorratung v. medizischen Produkten und Aufdeckung von Straftaten jeder Art in Verbindung mit der Pandemie geht es offensichtlich eher darum, das Verhalten der Schwurbler zu relativieren u. die Schutzmaßnahmen anzuzweifeln. [Eine] Kabarettistin […] postet derzeit impfgegnerisch im Netz: „Als ich klein war und jemand in der Nachbarschaft die Masern hatte, wurde man von der Mama rübergeschickt, um sich anzustecken, O-Ton: „Dann hast des hinter Dir!““ Solche Leute […] fühlen sich offenbar durch die offzielle Relativierung der notwendigen Pandemie-Maßnahmen immer weiter motiviert, wissenschaftsfeindlich zu agitieren und weitere Erkrankungen zu verniedlichen.
Leilah Lilienruh
Wie lange wird uns dieses Thema also noch beschäftigen? Denn aus und vorbei ist es sowas von definitiv nicht, wenn sogar noch in diesem Jahr die Wut, die Verzweiflung und der Schock über das, was nunmehr ein halbes Jahrzehnt hinter uns liegt, immer noch so tief sitzt? Ich fürchte, das Thema wird noch lange aktiv bleiben – nein, ich korrigiere: lange aktiv gehalten werden! -, weil man es gut nutzen, ausschlachten und damit politisches Kleingeld machen kann. Die Wahlergebnisse in Deutschland, Österreich und in den USA beweisen es: der emotionale Trigger wirkt auch noch Jahre später. Niemand mit politischen Ambitionen lässt dieses Geld auf der Straße liegen.

Der – ja, wie soll man das nennen? – Protest ist nicht der Sache dienend, sondern zu einem Identifikations- und Zugehörigkeitsmerkmal geworden. Man sei „wild“ (eine Chiffre für „natürlich“) und „ungeimpft“ (hier könnte man eventuell die Sache mit dem Protest verorten) und habe damit die gesunden Körper, in denen ein reiner Geist lebe. Endlich kann der Underdog sich charakteritisieren, endlich hat er ein Profil! Wer möchte denn nicht von Natur aus überlegen sein, eigentlich recht haben, es immer schon gewusst haben? Die Hoffnungserzählung bewahrheitet sich. Man muss nur glauben, was so viele auf Telegram erzählen. – Und schon haben die Rattenfänger ihre Köder gefunden und führen die Schar von Freidenkern und was weiß ich wie sie sich alle nennen, hinter sich her. Eine Situation, die zu denken gibt. Eine Situation, die aufgrund ihrer Auswirkungen zu denken geben sollte.
Ja, ich muss zugeben, dass auch ich über vieles, was in den Pandemiejahren passiert ist, jetzt, im Nachhinein den Kopf schütteln muss. Gleichzeitig aber noch mehr über das, was es an Auswirkungen und Reaktionen gegeben hat, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Vor allem, dass es die Wissenschaft so dermaßen abbekommen hat und über die Tatsache, dass ein paar Telegram-Botschaften für bestimmte Menschen wichtiger waren (und sind) als hunderte, wenn nicht tausende Seiten von Studienergebnissen und differenzierter Betrachtung. Aber sei’s drum. Das wird ein schwelender Konflikt sein, von dem sich wohl erst unsere Enkelkinder erholen werden, in dem die ganze Sache in Vergessenheit gerät. Oder eben auch nicht.