Wir sind Nationalfeiertag 2024

Wir sind Nationalfeiertag, auch 2024 wieder. Das ist, ob wir wollen oder nicht, Üh-Soons. Auch so ein Begriff, den es zu durchleuchten gilt.

Es ist Samstag und somit Wochenende, es hat 12°C hier in Wien, und wir wussten gar nicht, was für Nationalisten wir eigentlich sind, dass wir den Nationalfeiertag so hart feiern. Länger im Bett bleiben? Nationalismus! Guter Kaffee am Samstagvormittag? Nationalismus! Zeitung oder Handy auf der Couch und ein entspannter Morgen? Nationalismus! Nicht arbeiten, Freizeit haben, mit den Kindern spielen, eventuell sogar einen Ausflug machen? Nationalismus! Schnitzel, Pommes und Cola? Nationalismus! Es ist regnerisch, die Hochnebeldecke macht den Himmel grau, alle sind noch zuhause, es ist ruhig auf den Straßen und wir ärgern uns über diejenigen, mit denen wir alt werden und unsere Kinder großziehen wollten. (Nationalismus!) Es ist fast langweilig an diesem Morgen, da uns der Feiertag blockiert, rausreißt aus unseren hässlichen Routinen, fernhält von der Arbeit, unserem Opium gegen den Dauerschmerz, zu dem unser Leben verkommen ist. Wie schön ist es, zumindest diese eine Konstante Jahr für Jahr, immer und immer wieder vorzufinden: den Feiertag. Wie es uns geht? Ja, eh alles bestens! (Vielleicht gibt es doch irgendetwas zu arbeiten?)

Im Osten hauen sie sich die Schädel ein und auch bei uns gibt es einen, der eine Absage nach der anderen erhält („erhalten hat“, kann man mittlerweile sagen), wodurch wir uns nun in der Situation befinden, dass die Mathematik über die Symbolik gewinnt und er, der das Volk (das einzig wahre?) sein wollte, vor die Tatsache gestellt wird, dass das Volk (das wahre) dann doch mehr ist als er jemals hätte abbilden können. Aber so ist sie nun einmal, unsere Verfassung (die elegante, wie die Mumie sagte), und sie macht möglich, was unmöglich schien. Wer aber nicht auf sie, sondern auf die Schreihälse setzt und das Wort Usance schon so oft begründend gebraucht hat, dass es ihm nicht mehr absurd erscheint, hat nicht verstanden, worum es geht. Üh-Soons. Alle Gewürze zusammen machen das schmackhafte Gericht aus. Wer einige von ihnen weglässt und von anderen zu viel benutzt, verändert das Resultat. Doch ich will nicht einseitig sein, denn es gibt einen mehr als berechtigten Einwand: Wer übersieht, dass einige Zutaten im Lagerraum verdorben sind und längst nicht mehr die geschmacklichen Qualitäten aufweisen können, die essentiell fürs Gelingen sind, sollte sich vielleicht nicht gar so freudig an die Zubereitung des Gerichts machen und stattdessen überlegen, was wohl schiefgelaufen ist; und entsprechende Maßnahmen setzen, um den Befall mit dem Zeug, das man nun wirklich nicht in oder an sich haben möchte, in Zukunft zu verhindern. Doch wir bleiben vorerst stabil und essen unser Gulasch, bevor wir dann mit dem Elektroauto ins Grüne fahren. Übermorgen sind wir dann im klimatisierten Büro eh wieder vegan unterwegs. Heute ist ja Feiertag, Nationalfeiertag! Heute dürfen wir.

Es ist wieder ein Jahr später. Und wieder stellen wir verwundert fest, dass dieses nicht zu Ende gehende Spiel im Masterlevel läuft. Kein Tutorial, kein Handbuch. Explorieren, Navigieren und Erfolgreich sein läuft hier on-the-fly und ohne Extraleben. Die ersten Gedanken über die Zeit danach kommen auf. Würden wir den Unsrigen gut in Erinnerung bleiben, geht es ihnen gut, fragen sich diejenigen, die ihre Nachkommen lieben. Würden wir ihnen genügend für den Start mitgeben, würden sie das, was wir uns aufgebaut haben, gut verwalten, diejenigen, die sich selbst lieben. Es gibt und gab sie immer schon beide: Diejenigen, die das Glück haben, als Selbstzweck geboren worden zu sein und denen alles nur erdenklich Gute im Beisein ihrer Lieben zuteil wurde. Und diejenigen, die noch vor ihrer Geburt bereits zu Projektionsflächen für ihre Vorgänger wurden. Von denen still und leise erwartet wird, ihr Leben für etwas Großes zu opfern. Fürs Erbe von der Mama, zum Beispiel. Oder für die Firma vom Onkel, die Agentur von der Tante oder die Kanzlei vom Papa. Oder für sonst irgendwas, das in den meisten Fällen gerade mal ein oder zwei Generationen überdauert, bis die Illusion einer die Jahre überdauernden Motivation endlich gebrochen wird und meist bitter und im Leid zu Ende geht. Niemand lebt ewig, auch wenn wir es so sehr wollen. Ach was, es ist schneller zu Ende als wir glauben. Und ja, es ist egal, dass der Bub so blad ist, dass er ohne Medikamente seinen Fünziger nicht mehr erlebt. Hauptsache, er spurt, wenn die Mama anruft. Ein hässlicher Gedanke? Wenn er uns nicht passt, dann verbannen wir ihn halt in den Keller. Darin sind wir gut.

Vielleicht ist ja nicht alles schlecht hier, vielleicht ist nicht der ganze Lagerraum befallen. Wir bringen ja doch einiges zusammen, wenn wir wollen. Und wenn wir nicht wollen, dann arbeiten wir halt eben. Rund um die Uhr, all in, stolz unsere Überstunden beklagend, die Kolleginnen und Kollegen als Ersatzfamilie nutzend. Wenn einmal der Kaffee im Büro besser schmeckt als der zuhause, dann ist eh schon alles vorbei. Wenn wir froh frühmorgens das Haus verlassen und dies und das noch erledigen, bevor es wieder nachhause geht, dann sollten wir uns vielleicht doch die Frage stellen, was eigentlich nicht schiefläuft. Entlassen ist man schnell einmal, und jedem ist es egal. Aber Kopf hoch, anpacken! Auch wenn der Himmel weiß ist und nicht blau, läuft der Laden. Der Strom kommt aus der Steckdose, die Spitäler sind in Betrieb, die Heizungen sind warm, beim Ströck gibt’s noch Salzstangerln und selbst die Donau ist noch nicht ausgetrocknet.

Ja, wir können stolz auf uns sein, es bis hierher geschafft zu haben, auch neunzehn Jahre später noch. Denn wir feiern, jedes Jahr aufs Neue und auch heuer wieder, ob wir wollen oder nicht, ob wir dafür oder dagegen sind, ob wir davor flüchten oder darin aufgehen, ob wir es im Land oder außerhalb tun, die eine Tatsache, die wir nicht abdingen können: Wir sind Nationalfeiertag.

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