Ben Werdmuller stellt sich die Frage, ob die Anzeige einer (Blog-) Homepage als Stream von Beiträgen – längere Artikel, kurze Beiträge und Linkposts oder sogar beide vermischt – noch zeitgemäß ist.
As of right now, the homepage is a mix of long-form posts, short thoughts, and links I consider interesting, presented as a stream. It’s a genuine representation of what I’m reading and thinking about, and each post’s permalink page looks fine to me, but it doesn’t quite hold together as a whole. If you look at my homepage with fresh eyes, my stream is a hodgepodge. There’s no through line.
Organizing my blog
Ein Durcheinander als Problem? Wo kommt das plötzlich her? Aber die Darstellung der Beiträge auf einer Homepage als Stream dürfte bei denjenigen, die sich selbst als Blogger bezeichnen und schon länger dabei sind, etwas getriggert haben, denn besonders ältere Blogs haben das Thema aufgenommen und selbst wiederum Beiträge dazu verfasst.
Om Malik geht zum Beispiel gleich in die Vollen und stellt das Design- und Organisationprinzip „Stream“ ganz generell in Frage. Geht es nach ihm, haben soziale Netzwerke durch den Einsatz einer algorithmisch bestimmten Anordnung von Beiträgen quasi bewiesen, dass es besser sein und gehen muss. (Eigenartiger Schluss, aber bitte.)
Across the web, one can see “streams” losing their preeminence. […] Social networks […] have come to the conclusion that most of us can no longer follow the stream and make sense of what’s flowing through, or even catch what’s important. […] As an old-school blogger, I have found a lot of comfort in the stream. I felt that it was a way to showcase my whole “online being.” And that worked when people were in the habit of visiting blogs every day — even multiple times a day. These days, it is either newsletters or fly-by-visits that account for interaction on blogs.
Is “stream” as a design paradigm over?
Mir gefällt das Argument nicht, weil es eigentlich nur für Websites gilt, die das Private und Persönliche verlassen haben und deren Ziele mehr der geschäftlich orientierten Darstellung des Selbst oder einem der Features dieses Selbst (Stichwort: Expertise, Autorität, Trustworthiness) dienen. In anderen Worten: Das Argument und seine Begründung basieren auf einer Wahrnehmung von Bloggen als Mittel zum Zweck und nicht, wie es in der Old School Blogger-Community, deren Existenz ich jetzt einfach mal als nicht wegzudenkende, wahrscheinlich ohnehin nur imaginierte Grundannahme heranziehe, wie es also, ich muss den Satz leider auffangen und ihn mit einem Doppelpunkt beenden, sonst geht der Gedanke völlig verloren, in der Old School Blogger-Community praktiziert wird: als Selbstzweck. (Für diejenigen, die nun trotzdem ausgestiegen sind, hier ein tl;dr: Om Maliks Argument basiert auf der Annahme, Bloggen sei ein Mittel zum Zweck. Ich mag das Argument nicht, weil ich es als nur für einen Teil der Blogs als gültig erachte, nämlich nur für die geschäftlichen, nicht aber für die persönlichen und privaten.)
Jeremy Keith, über dessen Blog ich überhaupt aufs Thema gestoßen bin, bremst diesen Zugang ohnehin gleich wieder aus. Er sieht das Durcheinander, welches sich aus der Anwendung des Prinzips Chronologie ergibt, als liebenswürdige Eigenschaft – nein, ich denke, man kann sogar behaupten: als ureigenste Eigenschaft – gegenwärtigen Bloggens. Das ist also nicht sein Problem. Lediglich die Darstellung der verschiedenartigen Beitragsformen bereitet ihm Kopfzerbrechen. Das Prinzip des Streams, das Durcheinander auf der Homepage sieht er als „feature, not a bug“.
I don’t make too much visual distinction between the different kinds of posts. My links and my notes look quite similar. […] Maybe I should make them more distinct, visually. Because I actually like the higgedly-piggedly nature of a stream of different kinds of stuff. I want the vibe to be less like a pristine Apple store, and more like a chaotic second-hand bookstore.
Home stream
Ich bin bei so einer Diskussion eindeutig im Team Jeremy Keith und ich finde den Vergleich mit dem Second-Hand Buchladen herrlich treffend. Ich schätze das Durcheinander des Home-Streams, ich bin angetan von der natürlichen Unordnung, ich mag, dass meine Leser:innen selbst entscheiden können, ob und was sie lesen und dass sie – im Gegensatz zur algorithmischen Vorauswahl – sehen, was sie erwartet.
Wenn ich Zeit und Muße hätte, mich endlich dazu durchzuringen, so würde ich die umgekehrt chronologische Anordnung auf meiner Homepage viel chaotischer wirken lassen, in dem ich mehr auf die Inhaltstypen der jeweiligen Beiträge eingehe und…
- Bilder, Videos, Fotogalerien und Audiobeiträge direkt anzeige,
- lange Beiträge auf Übersichtsseiten als Einheit aus Titel, Exzerpt und Weiterlesen-Link darstelle, und
- kurze Beiträge oder Statusupdates, Zitate und Dialoge bzw. Chats unmittelbar, vielleicht sogar ganz ohne Titel, ausgebe.
Erinnert das an Tumblr oder gar an WordPress-Beitragsformate? Ja. Ist das Thema Beitragsformate und ihre Darstellung auf Übersichtsseiten tatsächlich noch immer eine aktuelle Diskussion? Ja, ist es!
Über die Homepage und andere Übersichtsseiten sollten sich Interessierte in kürzester Zeit ein Bild verschaffen können, ob sie diesem/einem Blog weiter folgen, die dort veröffentlichten Beiträge per RSS abonnieren oder die Site rasch wieder verlassen wollen. Ich meine, das sollte, auch wenn mein Blog aktuell nicht gerade das beste Beispiel für meine Behauptung darstellt, nicht nur durch das Lesen von Überschriften und Exzerpten erfolgen, sondern ganz besonders durch die unmittelbare und direkte Darstellung der auf dieser Site veröffentlichten Beitragstypen. Es macht einen Unterschied, ob man mit einer Wand voller Text oder mit einer bunten Mischung aus Texten, Videos, Bildern, Audiodaten und Zitaten konfrontiert wird. Erinnern wir uns an Jeremy Keiths Vergleich mit dem Second-Hand Buchladen: Ich komme in einen Raum und sehe nur in Leder gebundene, dicke und schwere Bücher, die Titel mit goldenen Lettern gedruckt, fein säuberlich in einem Regal eingeordnet. Das ist die eine Art von Darstellung. Die andere ähnelt mehr einem Raum, in dem diese Bücher auf mehreren Tischen verteilt herumliegen. Unter Mickey Mouse-Comics, ein paar Ausgaben der Bravo, des Rennbahn Express, alten Tageszeitungen, Fotoalben und vielleicht sogar Videokassetten, DVDs, CDs oder Schallplatten. Welches der beiden Bilder zeigt besser, was mich in diesem Laden erwartet? Ich denke, wir sind uns einig.
Die Darstellung dieser Heterogenität an Beitragstypen wäre für mich gegenwärtig die einzige Rechtfertigung, die umgekehrt chronologische Abfolge von Beiträgen zugunsten einer algorithmisch generierten zurückzustellen: Wenn es aufgrund der chronologischen Abfolge von Beiträgen nicht möglich ist, innerhalb der ersten ein, zwei Dutzend Beiträge auf meiner Homepage jeden Beitragstypus mindestens einmal darzustellen, dann akzeptiere ich den algorithmischen Eingriff, der Beiträge, die das Kriterium Chronologie gar nicht laden würde, trotzdem hervorzuholen und anzuzeigen.
So ein System umzusetzen lässt es bei mir in den Fingern jucken. Ein Eingriff in die Beitragsausgabe, ja sogar in die ihr vorgeschaltete Abfrage in der Datenbank, das klingt nach Programmieren und Hände schmutzig machen. Basteln, Herumprobieren, Optimieren. Vielleicht trifft genau das ja das ganz banale Problem, welches der Initiator der ganzen Diskussion, Ben Werdmuller, im Schlusssatz seines Blogbeitrags letztlich auch eingesteht: „I think I’m just sick of my design and need to try something else out.“
Danke für den interessanten Beitrag (übrigens via Twitter entdeckt).
Mit den modernen Blog-Baukästen müssen wir uns ja nicht zwingend für die eine oder die andere Möglichkeit entscheiden. Ich biete auf der Startseite meines Blogs mehrere Einstiege an: die aktuellsten Beiträge, die beliebtesten Beiträge, die neuesten je nach Kategorie.
Beste Grüße,
Eddy
P.S. Ich betreibe keinen geschäftlichen, sondern einen privaten Blog und zähle mich zu der Old School Blogger-Community :-)
Es gibt sie also doch, die Old School Blogger-Community, und sie ist nicht nur Teil meiner Imagination. Das ist sehr schön! Danke, Eddy, für deinen Kommentar. Und ja, klar kann man mit den Baukästen Dinge tun, die die Chronologie als grundlegendes Prinzip de facto ausschaltet. Die Frage ist halt, will man das auch? Ich sehe, du hast deine Startseite nach Kategorien, also nach Themen, sortiert – finde ich super und würde ich genau so machen. Moment, tu ich in Wirklichkeit ja auch, wenn man sich die Menüleiste näher ansieht! Wo du ja ohnehin auch ein wenig Chaos ins Lineare bringst, ist die Art der Darstellung, die vermutlich den einzelnen Beiträgen optisch ganz andere Gewichtungen zuordnet, und der ganz grundsätzliche Verzicht von Datumsangaben auf den Übersichtsseiten (wie zB „Category – Bloggen“). Sehr nice und ein schöner Mittelweg zwischen totalem Chaos und strenger Chronologie! (Und ja, solange die Twitter API noch funktioniert, wird dorthin quergepostet!)
Wow, ein Thema zu dem mir so viele Gedanken durch den Kopf gehen. Bevor ich meinen Kommentar deswegen zu lange aufschiebe, vielleicht einfach mal ein paar schnelle Gedanken:
Das Gute an der Homepage bzw. des Home-Streams ist ja, dass es keine Regeln gibt und sich jeder austoben kann. Wobei ich die chronologisch absteigende Variante (natürlich inklusive Postdatum) schon allein deswegen bevorzuge, weil man sofort erkennt, ob das Blog noch aktiv ist und wenn ja, wie aktiv es ist.
Wenn man Bilder hat, können die die Posts interessanter machen. Aber immer gute Bilder finden ist halt auch mühsam (Rechtesituation, Bearbeitung etc.)
Wie unterschiedlich sollen Posts unterschiedlicher Kategorien auf der Homepage aussehen? Gute Frage. Da ich mir selten die Zeit nehme, mich kurz zu fassen, wird bei mir meist eh alles schnell zu einem mindestens normal langen Blogpost (haha). Aber, im Ernst, auch hier überwiegt bei mir der Pragmatismus: Ein „Kritik“ im Titel -> Filmkritik. „Test“ -> Testbericht mit Wertung etc. Wenn sich aber langfristig Inhalte herauskristallisieren, die von einer anderen Darstellung profitieren, dann kann man es natürlich angehen (keine Ahnung, evtl. sowas wie Album-Neuvorstellungen oder Podcast-Empfehlungen mit eingebettetem Player oder so vielleicht?).
Algorithmische Auswahl und Sortierung halte ich für katastrophal. Wäre für mich gleichzusetzen, als würde man den Twitter-Algorithmus auf die eigenen E-Mail-Inbox anwenden.
Jedenfalls kommen mir da gleich ein paar Ideen für meine eigene Homepage. ;)
Schnelle Gedanken sind gut! Und es freut mich, dass du und auch andere sich ganz offenbar Gedanken dazu machen. Ich finde, man kann sich gut erkennen, was so auf „Home“ passiert, wenn man sich Relaunches ansieht, vor allem ist mir das letztens in Zusammenhang mit Tageszeitungen und Magazinen (welche der Zeitungen und Magazine im DACH-Raum haben in den letzten 3 Jahren keinen Relaunch hingelegt?) aufgefallen. Aber da habe ich ohnehin einen Artikel im Entwurfsstatus dazu. Vielleicht ist das jetzt die Motivation, ihn endlich fertig zu schreiben. – Jedenfalls bin ich schon gespannt, was du daraus machst!