Europa reguliert sich auf den letzten Platz

Europa reguliert und reguliert und reguliert und sieht vor lauter Regulierung nicht, wie die Investitionen in Innovation sich von selbst nach unten regulieren, meint das Wall Street Journal.

Im Wall Street Journal argumentiert Greg Ip, warum der europäische Regulierungsfetisch mittlerweile einer Vollbremsung mitten auf der Rennstrecke entspricht. Die ersten Sätze schaffen unmissverständlich Klarheit über den Ist-Zustand und bringen einen überraschenden Schluss:

[Europe] barely escaped recession late last year as the U.S. boomed. It is losing out to the U.S. on artificial intelligence, and to China on electric vehicles. There is one field where the European Union still leads the world: regulation. The technocrats who staff the EU in Brussels aren’t anti-free market. Just the opposite: they still believe in free trade, unlike the U.S. or China. Much of their regulation is aimed at protecting consumers and competition from meddling national governments.

WSJ

Greg Ips Argument, sinngemäß: Es gibt einen Trade-Off zwischen Konsumentenschutz und der Möglichkeit, aus Investition und Innovation Profite zu generieren. Zu viel Konsumentenschutz würgt Investitionen und Investitionen in Innovation ab, zu wenig wirkt sich negativ auf die Konsumenten aus. Die USA, so Ip, haben hier eine bessere Balance gefunden. (Ein Statement, das bei vielen wohl heftige Gegenargumente auslösen wird.)

Er erläutert dieses Verhältnis am Beispiel von Mobilfunkunternehmen, derer es in der EU, einem Markt mit etwa 474 Millionen Einwohnern 102, in den USA (Markt mit etwa 335 Millionen Einwohnern) lediglich 3 gibt. Das Resultat einer so hohen Dichte und somit großen Mitbewerbs mag zwar positiv für Konsumenten sein, auf lange Sicht aber schaden günstige Mobilfunktarife dem oben genannten Punkt: Investition in/und Innovation. In Europa sieht er das Problem augenscheinlich im Ausbau der Mobilfunknetzwerke: „Ein 5G-Signal in Deutschland zu finden ist in etwa gleich schwierig, wie einen Biden-Unterstützer auf einer Trump-Rally“ – ein gewaltiges Problem für Europas Tech-Industrie. Würde Europa aufholen wollen, was es bislang an Metern gegen die USA verloren hat, entspräche das einem Investitionsvolumen von etwa 300 Milliarden USD. Eine enorme Summe, die wir in Europa aufbringen müssten, um gerade mal auf gleich zu ziehen. Ähnlich die DSGVO, die bislang nur dazu geführt hat, dass Investitionen zurückgehalten wurden; oder kennt jemand einen konkreten Fall, bei dem diese Regulierung jemandem aktiv genützt hätte? (Ja, ja, dieser peinliche Fall ausgenommen; aber der war ja ohnehin for the lolz.)

Ähnlich auch, allerdings besonders gefährlich, weil es eine gerade entstehende und mit Sicherheit künftige Schlüsselindustrie abwürgt, bevor sie noch entstehen kann, bewertet Ip die Regulierung für den Umgang mit und die Nutzung von Künstlicher Intelligenz. Gegenwärtig ist das Investitionsvolumen in der EU in diesem Bereich aufgrund der fast schon als blockierend zu beurteilenden Rechtslage bei gerade einmal einem Viertel (!) des Volumens, das Unternehmen in den USA zur Verfügung steht. Ebenso ein gewaltiges Problem, das von Jahr zu Jahr größer wird und uns hier in Europa noch mehr in die Hände der großen US-Unternehmen zwingt. (Worüber wir uns dann aufregen und mittels Regulierung versuchen, alles irgendwie nicht ganz so schlimm zu machen, anstatt von Anfang an Milliarden in diesen Industriezweig zu pumpen oder es für Investoren attraktiver zu machen, diese Summen in europäische Unternehmen anzulegen.)

Der Artikel wirft ein paar Schlaglichter auf private und staatliche Investments, vergleicht Europa mit China und den USA, besonders deutlich aber wird Greg Ip immer und immer wieder, wenn es um Innovation, Forschung und Investitionen in diese Gebiete geht. Der mögliche und für Investoren profitable Output wird in Europa aufgrund der frenetischen Regulierung zurückgehalten, noch bevor er überhaupt generiert werden kann. Das macht den Kontinent für Investments gewissermaßen unattraktiv, so Ip. Ein Beispiel, diesmal aus dem Cloud-Computing:

As the U.S. and China put more muscle into their technological contest, Europe risks falling even further behind. China spends 2% to 5% of GDP on industrial policy—support of sectors deemed strategic—compared with Europe’s 1% […] In December, Brussels approved up to $1.3 billion of aid over eight years for cloud computing-related R&D, but that’s just 4% of what Amazon’s cloud division invests in a year, McKinsey noted.

WSJ

Wenn 1,3 Milliarden USD an EU-Subventionen für einen Zeitraum von 8 Jahren gerade mal 4% des Investitionsvolumens eines Jahres (!) von nur einem Unternehmen (!) entsprechen, dann wundert es mich nicht mehr, das selbst Europäer feststellen, dass wir hier in Europa den Unternehmen aus China und den USA in dem Bereich „nicht annähernd das Wasser reichen können„. Mal sehen, wieviele solche Bereiche es in den nächsten 5, 10 oder 15 Jahren geben wird.

Ach ja, und hier gleich ein Artikel in der Zeit Online von Jakob von Lindern, das sogar den Titel „Regulierung? Ja, bitte“ trägt und diesen Absatz als Gegenargument zur Greg Ips Kausalität aufführt, die in der Regulierung das Problem für (Investitionen in) Innovation sieht:

Es ist schon richtig, dass es Unternehmen auch Geld kostet, Regeln zu befolgen. Kleine Unternehmen haben weniger Geld als Große, das kann ein Nachteil für Start-ups sein, die aufholen wollen. Aber sowohl im AI Act als auch im Digital Markets Act wurden deshalb Unterschiede gemacht zwischen den Regeln für die ganz großen Player und allen anderen. Das sind unterm Strich kluge, ausgewogene Maßnahmen. Die EU-Gesetze sind nicht die verkorksten, von Inkompetenz gezeichneten Machwerke, als die sie manchmal dargestellt werden.

Zeit Online

Wenn das alles so toll ist, warum ist es dann gerade für Start-Ups immer noch attraktiver, in die USA zu wechseln und dort Geld zu machen, als in Europa zu bleiben und es hier zu tun? Vielleicht wäre der Blick weg vom Konsumenten und hin zum Arbeitgeber dieses Konsumenten auch nicht schlecht.

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