Freundschaft im Erwachsenenalter

Freundschaft im Erwachsenenalter, egal, ob alte aufrechterhalten oder neue schließen, ist mühsam und mit Arbeit verbunden. Wer es lustig und reibungslos haben will, will eigentlich ein menschliches Spielzeug zum Zeitvertreib und hat kein Interesse am Beziehungsaspekt.

Jeder und jedem von uns ist die Formulierung „an einer Beziehung arbeiten“ bekannt. Eine Freundschaft ist eine Beziehung und wer nach der Kindheit, in der Freundschaften quasi natürlich entstehen, eine solche haben will, der muss daran, vor allem aber dafür arbeiten. Und zwar aktiv. Von selbst wird nämlich gar nichts passieren. Freundschaften im Erwachsenenalter sind Arbeit, Aufwand und vom Scheitern begleitet.

When you were a kid, it seemed like you could walk up to just about anybody and be best friends the next minute. But somewhere along the long, winding road to adulthood, making new friends became an impossibly hard thing to do. […] Those who view friendships as something that happens because of luck are lonelier later on in life […] and those who see it as something that happens based on effort are less lonely years later. […] Researchers also find that when we develop groups, our friendships are more sustainable than they are with individuals. Because there’s multiple touch points now, right? Someone else in the group could reach out to all of us, and then we all keep in touch.

wbur

Gleich am Anfang des Artikels „You’re not uncool. Making friends as an adult is just hard“ werden die Zutaten für eine Freundschaft in der Kindheit, also eine, die natürlich erwächst, genannt. Das sind einerseits die kontinuierliche, ungeplante Interaktion und andererseits etwas, das ich mit „geteilte Verletzbarkeit“ („shared vulnerability“) übersetzen würde. Vielleicht sind es diese zwei Gründe, die uns tendenziell Freund- oder zumindest Bekanntschaften am Arbeitsplatz möglich machen? „Kontinuierliche, ungeplante Interaktion“ spricht schon stark dafür. Und wenn es vielleicht sogar wenig zufriedenstellende Zustände im Betrieb gibt, dann auch die geteilte Verletzbarkeit. Ich, jedenfalls, konnte immer eine recht schnelle Integration erleben, wenn es etwas zu bemängeln gab. War der oder die Vorgesetzte ungut oder das Equipment veraltet… beim Schimpfen und Nörgeln kommen die Leute zusammen.

Viel mehr steht nun in dem Artikel auf wbur.org auch nicht. Bleibt nur noch der Blick darauf, ob ich schon etwas zum Thema geschrieben habe? Und sieh einer an, es gibt zumindest zwei Beiträge, die vielleicht relevant sind.

Einerseits habe ich über das Auffinden von Freunden in China geschrieben, wo mich das Fremde gleichzeitig fasziniert und vor die nahezu unüberwindbar scheinende Aufgabe gestellt hat, kulturelle Unterschiede zu überbrücken, in dem ich sie in – teilweise bei uns so gar nicht existierende – Befindlichkeiten und Rituale übersetze.

Andererseits fällt mir zum Thema Freundschaft immer und immer wieder der fantastische Essay von William Deresiewicz über das, was wir heute Freundschaft nennen, ein. Darin beklagt er die Aushöhlung des Begriffs auf etwas einseitig Empfundenes, das bestenfalls Nähe ausdrückt, auf jeden Fall aber weit von der intellektuellen, emotionalen, moralischen und vielleicht sogar physischen Interaktion entfernt ist, die einmal seine Bedeutung ausgemacht hat. Er geht auch auf die Bequemlichkeit ein, mit der wir uns Freundschaft vorstellen und erwarten. Freundschaft soll „fun and friction-free“ sein, quasi eine Art „Freundschaft von der Stange“, gleichermaßen auch auswechselbar. Spurt der oder die eine nicht, gehe ich in den „fun and friction-free“-Modus bei einem anderen. Das Telefon, der Messenger, die Mediatoren dessen, was eine – horribile dictu! – moderne Freundschaft zu sein scheint, sind immer griffbereit.

Ich denke, hierin liegt ein sehr großes Problem, das – und einerseits knüpfe ich nun wieder beim oben zitierten Artikel an, andererseits an das darin vorgebrachte Argument, der Freundschaft als aktives Interagieren – die Bereitschaft für den Aufwand, den eine Freundschaft potentiell mit sich bringt, mit dem Alter schwindet. Zwei Beispiele aus meinem unmittelbaren Umfeld:

  1. Ein Kollege war immer schon ein gemütlicher Kauz. Diese Gemütlichkeit ist mit dem Älterwerden sehr nah an das, was man bei einer weniger geneigten Sichtweise wohl „sich gehen lassen“ bezeichnen würde, gerückt. Zuerst war die abendliche Pizza kein Problem, und wenn nicht die, dann zumindest ein samstäglicher Kaffee, keine 10 Minuten Fußweg von ihm entfernt. Die Pandemie hat allerdings die Gemütlichkeit verstärkt, enorm sogar. Und heute ist ein Telefonat zwar willkommen, das persönliche Erscheinen aber zur Seltenheit geworden. Es scheitert hier also selbst an diesem ach so einfachen „Aufstehen, anziehen, hingehen!“.
  2. Die Pandemie hat auch einem anderen Freund sehr schlecht getan. Die Katzen, die er sich zugelegt hat, sind die „wahren Freunde“ geworden, denn – und hier beweist sich wieder das aktive Element am Aufrechterhalt einer Freundschaft – „sie reden nicht zurück, kommen her, wenn ich Zeit habe und nerven mich nicht mit ihren Problemen“. Alles gesagt.

Es gilt der alte und auf so vieles zutreffende Spruch: Wenn es zu leicht scheint, dann ist irgendwo ein Haken an der Sache. Wir erweitern den Spruch nun auch auf die Domäne „Freundschaft“.

Aktualisierung am 23. April 2023

In einem der mittlerweile viel zu vielen derStandard.at-Podcasts, nämlich „Beziehungsweise“, wurde eine Folge zum Thema „Wie man als Erwachsener Freunde findet“ veröffentlicht.

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