KI nimmt Arbeit ihren Wert, auch deiner

Künstliche Intelligenz ist eine Technologie wie jede andere, wenn es um die Machtverhältnisse von Kapital und Arbeit geht. Jason Resnikoff hat einen Augenöffner geschrieben.

Jason Resnikoff sieht sich Künstliche Intelligenz von einem ganz anderen Blickwinkel aus an und beschreibt die Auswirkungen der Technologie auf die Verfestigung gegenwärtiger Machtverhältnisse durch das gezielte Entwerten hochwertiger Arbeit (und dafür nötiger Fachkräfte). Sein Argument lautet, dass es nicht ein inhärenter Bestandteil der Technologie selbst ist, diesen Prozess der Entwertung einzuleiten, sondern ihre Nutzung im Zusammenspiel von Arbeit und Kapital.

Ja, Resnikoffs Analyse wird von einem gewerkschafts- und arbeitsfreundlichen Zugang getragen, das versteckt der Autor ja auch nicht. Entwertet der Zugang aber die analytische Qualität seines Beitrags? Mitnichten. Sie ist äußerst treffend, möchte ich meinen, egal, ob man nun seiner Positionierung ideologische Voreingenommenheit vorwerfen mag oder nicht.

The material changes ushered in under the aegis of artificial intelligence (AI) are not leading to the abolition of human labor but rather its degradation. […] Instead of relieving people of work, employers have deployed technology […] to turn relatively good jobs into bad jobs by breaking up craft work into semiskilled labor and by obscuring the labor of human beings behind a technological apparatus so that it can be had more cheaply. […] This degradation is not a quality of the technology itself but rather of the relationship between capital and labor. The current discussion around AI and the future of work is the latest development in a longer history of employers seeking to undermine worker power by claiming that human labor is losing its value and that technological progress, rather than human agents, is responsible.

Jason Resnikoff

Im langen, aber lesenswerten Artikel geht Jason Resnikoff auf die lange Geschichte der Mechanisierung bzw. Technologisierung von Arbeit ein, die immer mit dem Versprechen einer Verbesserung (für die Arbeitsverhältnisse, für die Gesellschaft usw.) eingeführt wurde, tatsächlich aber nur einem Zweck diente. Komplexe Arbeiten sollten in kleinere, dafür weniger komplexe Arbeitsschritte überführt werden, um ausgebildete und hochqualifizierte, vor allem aber teure Angestellte gegen niedriger qualifizierte, vor allem aber günstigere Angestellte austauschen zu können.

AI is yet another chapter in this story of technological utopianism to degrade labor by rhetorically obscuring it. […] The Marxist political economist Harry Braverman’s labor degradation thesis, in which industrial capitalist development tends toward the breakup of craft work, the broader diffusion of the detailed division of labor, and the application of factory regimes to ever more kinds of work, still holds. If anything, managerial use of digital technologies has only accelerated this tendency. Moritz Altenried, a scholar of political economy, recently referred to this as the rise of the “digital factory,” combining the most overdetermined, even carceral, elements of traditional factory work with flexible labor contracts and worker precarity.

Jason Resnikoff

Und nicht viel weiter im Text legt Resnikoff den Finger in eine bei uns allen offene Wunde, die wir aber auch zu gerne übersehen oder uns schönreden, da sie die gegenwärtigen Machtverhältnisse nur allzu klar festlegt. Wenn wir despektierlich von „den Arbeitern“ reden und dabei an Fließbandarbeiter oder Lagerarbeiter, die in großen Hallen schuften, denken, übersehen wir nur allzu gerne, dass wir aus Sicht derer, die die Technologie finanzieren, implementieren und nutzen, nicht viel besser sind als eben jene Arbeiter.

Es gibt ja diesen Spruch, der besagt:

If you ever feel down, just remember, you’re closer to being a millionaire than Elon Musk.

World of Engineering

Und wer die Verhältnisse noch immer nicht versteht, kann sich zur Orientierung einmal ansehen, wie Reichtum, Einfluss und eben die Macht, KI zu finanzieren, implementieren und zu nutzen, aussieht.

Wir freuen uns über neue Software für die Buchhaltung, über vernünftige E-Mail-Apps oder KI-gestützte Tools, mit denen wir endlich unsere Onlinemeetings transkribieren können? Über Office 365, Google Workspace und so weiter? Über bessere Datenbanken, schnellere Suchsysteme, friktionsfrei integrierte externe Dienste? Das ist aus Sichtweise des Kapitals in etwa so, wie wenn sich Nutztiere über die Vor- und Nachteile des Gatters zum Schlachthof unterhalten. Lassen wir Jason Resnikoff also mal ganz hässlich in die Suppe spucken, die wir freudig auslöffeln. Es bleibt einem, das gleich als Vorwarnung, das Lachen im Hals stecken, realisiert man erst einmal, was da in den letzten 50-70 Jahren geschehen ist.

Like earlier forms of mechanization — including the computer-mechanization of white-collar office work since the 1950s — employers have set their sights on turning skilled, white-collar jobs into cheaper, semiskilled jobs. In the second half of the twentieth century, computer manufacturers and employers introduced the electronic digital computer with the aim of reducing clerical payroll costs. They replaced the skilled secretary or clerk with large numbers of poorly paid women […] In the last quarter of the twentieth century, employers successfully persuaded middle managers to do clerical labor for themselves […] by giving them desktop computers to do their own typing, filing, and correspondence — work that the company once paid clerical workers to do. This style of job degradation remains typical in white-collar work today.

Jason Resnikoff

Jeder und jede sollte sich immer wieder einmal auch mit solcherlei Gedanken und Überlegungen auseinander setzen, um, egal, wie sexy eine neue Technologie auch sein mag, den Blickwinkel der Machtverhältnisse nicht aus den Augen zu verlieren. Vor allem kann eine diese Verhältnisse beleuchtende Sichtweise oftmals die verdeckte Rhetorik von Effizienz- und Produktivitätsteigerung schnell als das entpuppen, was sie in Wirklichkeit zu sein scheint, die Entwertung von Arbeit, nämlich. Das ist nicht KI-spezifisch, sondern gilt ganz allgemein für Technologien an sich und das Prinzip der Entwertung von Arbeit – oder der Androhung von Entwertung von Arbeit – wird seit immer schon auf Kosten derer, die sie leisten und erbringen, genutzt.

AI is not a specific technology. Often enough, it is a story about technology, one that serves to disempower working people. Workers have reason to fear AI, but not because it is in and of itself revolutionary. Rather, workers and organizers should worry because the idea of AI allows employers to pursue some of the oldest methods of industrial labor degradation. In the past, unions have suffered when they took the technological claims of their employers as fact. For labor, it might quite literally pay to refuse to be impressed by technological utopianism.

Jason Resnikoff

Künstliche Intelligenz verhält sich also, und so schließt Jason Resnikoffs Artikel auch, in ihrer Auswirkung nicht anderes als andere Technologien vor ihr. Sie dient nur in geringen Teilen einer Form von Verbesserung, was auch immer das bedeuten mag. In weit größeren Teilen müssen wir sie als Drohgebärde gegen immer bessser ausgebildete (und somit teurere) Arbeitskräfte verstehen, günstiger zu werden oder eben die Konsequenzen in Form der Entwertung ihrer Arbeit zu spüren zu bekommen. Ein Argument, das Resnikoff nicht nur im oben zitierten Artikel mit etlichen Beispielen belegt und als kontinuierlich wiederkehrende Mechanik der Entwicklung unserer Arbeitswelt identifiziert.

Jetzt, wo ich diesen Gedanken in mir trage und an alle Situationen denke, in denen Künstliche Intelligenz eingeführt wurde, sehe ich Resnikoffs Punkt in 100 Prozent aller Fälle:

  1. Die Technologie wurde mit dem Argument der Arbeitserleichterung eingeführt.
  2. Die Arbeitskraft wurde dadurch ihrer Arbeit beraubt und weniger gut ausgebildete Arbeitskräfte haben die Übrigbleibsel aufgefangen.
  3. Die Arbeitskraft wird nun umgeschult bzw. steht kurz davor, das Unternehmen wegen Unterforderung zu verlassen.

Die Ironie an der ganzen Sache liegt aber in der Meta-Ebene meiner Beobachtung: Ich habe vor allem Developer beobachtet, die auf die Entwicklung businessspezifischer Software spezialisiert waren. Da sie aufgrund der erhöhten Arbeitsbelastung oftmals hinter ihren Zeitplänen lagen, wurde ihnen die KI beiseite gestellt – so das Argument. Ihr Gegenargument, sie würde nicht ausreichen oder keine Ergebnisse produzieren, die qualitativ hochwertig genug seien, um in den Produktiveinsatz überzugehen, wurde ausgebügelt, weil weniger ausgebildeten Arbeitskräften die Technologie ebenso zur Verfügung gestellt wurde, damit sie sie ausprobieren können. Sie begannen, Funktionen zu „programmieren“, die dann als Beweis herangezogen wurden, die Technologie sei ausgereift genug. Dass eine hochqualifizierte Arbeitskraft dann früher oder später das Handtuch wirft, liegt auf der Hand, oder?!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert