Früher oder später wird die in praktisch allen Browsern verfügbare Suchleiste nicht mehr von Haus aus ein Shortcut zur Suchergebnisseite einer Suchmaschine sein, sondern eher ein Eingabefenster für Prompts, die von Anbietern Künstlicher Intelligenzen bespielt werden. Einer Suchmaschine ähnlich, aber nicht einer klassischen Suchmaschine gleich. So klingt zumindest, was ich in den bei Bloomberg erschienen Beitrag über einen möglichen Wechsel der Standardsuchmaschine in Apples Safari-Browser interpretiere. Noch ist Apple zurückhaltend, zieht aber einen Wechsel der Technologie, die die Suche im Browser antreibt, in betracht. Auslöser: Ein Rückgang der Suchen in Safari selbst.
Apple Inc. is “actively looking at” revamping the Safari web browser on its devices to focus on AI-powered search engines […] Searches on Safari dipped for the first time last month, which [is] attributed to people using AI. […] AI search providers, including OpenAI, Perplexity AI Inc. and Anthropic PBC, will eventually replace standard search engines like Alphabet’s Google.
Bloomberg
Google widerspricht Apple, dass die Anzahl der Suchanfragen aus Safari heraus rückläufig gewesen sei und weist auf das genaue Gegenteil hin, das aus den bei Google gesammelten Statistiken hervorzugehen scheint.
We continue to see overall query growth in Search. That includes an increase in total queries coming from Apple’s devices and platforms. More generally, as we enhance Search with new features, people are seeing that Google Search is more useful for more of their queries — and they’re accessing it for new things and in new ways.
Google
So oder so, irgendetwas wird sich ändern, da ich bereits jetzt bei sehr vielen Menschen, bei denen ich es nicht vermutet hätte, bemerke, dass sie praktisch all ihre Fragen nun nicht mehr (bei Google) als Suche formulieren – das ist ihnen übrigens ohnehin nie wirklich gelungen, da sie mit der Systematik einer Suchanfrage nie wirklich zurecht gekommen sind; es war also immer ein bisschen ein Rätselraten -, sondern an Services und Angebote stellen, die mit Künstlicher Intelligenz im Hintergrund arbeiten. Perplexity, zum Beispiel, oder ChatGPT. Diese Services interpretieren und verbessern ihre Anfragen und beantworten sie entweder aus den eigenen Trainingsdaten gleich selbst oder setzen eine nunmehr passende und sinnvolle Suchanfrage über die eigene oder eine mit ihnen kooperierende Suchmaschine ab, um dann die Ergebnisse abermals zu scannen, zusammenzufassen und in einfacher Form, dem Niveau und dem Blickwinkel der Anfrage besser entsprechend als es Google je hätte tun können, wiederzugeben oder darzustellen. Folgefragen und weitere Erklärungen inklusive, sollte dies der User oder die Userin wollen.
Das Ergebnis einer Websuche bisher war eine Ergebnisliste mit Quellverweisen. Userinnen und User haben sich diese Quellen angesehen und entschieden, auf welcher davon sie finden, wonach sie gesucht haben. Das Ergebnis einer Websuche – ich formuliere es allgemeiner – einer Suchanfrage ist aber ab jetzt nicht mehr eine Liste von Quellen, sondern die unmittelbare Antwort auf die Frage. Das Ergebnis als Liste, aus der man erst recht noch einmal auswählen muss, scheint für einen ganz schön großen Teil an Informations- und Suchanfragen veraltet zu sein. Das Ergebnis unmittelbar ausformuliert, das, was man heute sehen will. Dass Apple deshalb besonders ein Auge auf Perplexity wirkt, wundert mich nicht. Perplexity ist eine KI-lastige Suchmaschine und keine KI mit Suchfunktion. Der kleine Shift im Fokus und im Zugang zu dem, was eine Suche im Web ist, macht es aus. Ich selbst nutze Perplexity für schnelle Anfragen und bin mit den Antworten durchwegs zufrieden. Aber ich nutze auch noch Google, wenn ich die Quellenauswahl selbst treffen will.
ChatGPT hat Userinnen und Usern gezeigt, dass es andere Möglichkeiten als das eigenhändige Suchen von Informationen im Web gibt, um Antworten auf Fragen zu finden. Da die Antworten vor allem am Anfang ausschließlich aus den eigenen Trainingsdaten generiert wurden, waren aktuelle Informationen in Künstlichen Intelligenzen schlichtweg nicht verfügbar. Das hat sich aber geändert. Heute führen Künstliche Intelligenzen aktiv Suchvorgänge aus, deren Ergebnisse sie auch gleich in ihre Antworten einbetten. Diese Vorgehensweise hat Google – ich denke, man kann das widerspruchslos so sagen – schlichtweg verschlafen und sich stattdessen zu sehr auf sein Werbegeschäft konzentriert, das nicht nur die Suchergebnisse in der Qualität der Auswahl vermindert, sondern Google auch in eine nun äußerst problematische Position manövriert hat, die weniger mit den faktischen Ergebnissen einer Suche, sondern viel mehr mit der Wahrnehmung der Google-Suchergebnisseite zu tun hat.
Vor welcher Wahl standen Userinnen und User denn noch vor zwei Jahren? Auf der einen Seite die immer schlechteren und kontinuierlich schlechter werdenden Suchergebnisse dargestellt auf Suchergebnisseiten, die von mehr und mehr Werbung geprägt waren bei Google. Auf der anderen Seite direkte, werbefreie Antworten bei Künstlichen Intelligenzen, die in ihrer Qualität über die letzten Monate hinweg merklich besser wurden. Das war der Ausgangszustand der Entwicklung, die Google ins Eck gedrängt hat. Richtig mies ist für Google aber, dass genau das eben auch der letzte Eindruck war, den Google bei seinen Userinnen und Usern hinterlassen hat, bevor sie endgültig Google den Rücken gekehrt und auf Künstliche Intelligenzen zur Recherche gesetzt haben. Google war einmal in ihrer Wahrnehmung, und die Erinnerung an die Ergebnisse der Suchmaschine ist keine Gute. Niemand, der heute fast ausschließlich KI nutzt, um Recherchen zu betreiben, erinnert sich an die „guten Suchergebnisse bei Google“. Alle beklagen die Qualität der Auswahl und die viele Werbung, die einem auf Suchergebnisseiten vorgesetzt wurde. Ich, mit Artikeln zu genau dem Thema hier auf mein Blog, bin da keine Ausnahme.
Google hat sich also selbst in eine Situation manövriert, ist also in ein Loch gefallen, in das bereits auch Yahoo, AltaVista, Lycos und wie sie alle hießen, gefallen sind: Niemand würde heute mehr eine der genannten Suchmaschinen, so es sie überhaupt noch gibt, nutzen, weil wir uns daran erinnern (oder davon gehört haben), wie mies die Qualität der Suchergebnisse bei ihnen war und wie Google sie damals alle vom Markt verdrängt hat, weil es mit einer einfachen Möglichkeit zur Suche und sehr guten Suchergebnissen aufwarten konnte. Wir prüfen unsere Eindrücke über Google Mitbewerb nicht einmal nach. Allein der Ruf, der diesen Services vorauseilt, hindert uns daran, überhaupt einen Versuch zu unternehmen, sie auszuprobieren. Und genau dort, hinter dem Hindernis, das uns Google erst gar nicht mehr anwenden lässt, ist der Suchmaschinen- und Werbegigant nun auch gelandet: der Ruf der Suchmaschine ist so stark angekratzt, dass wir die mittelprächtigen Ergebnisse einer KI den Suchergebnissen bei Google vorziehen.
Es geht also nicht nur um die Qualität der Suchergebnisse oder um die verstärkte Anwendung von KI, mit denen Google zu kämpfen hat. Das sind Probleme technischer Natur, die der Konzern schon irgendwie hinkriegen könnte. Die Herausforderung, vor der Google steht, ist in meinen Augen subtiler und viel schwieriger zu meistern: Google muss es irgendwie gelingen, den miesen letzten Eindruck, den es bei seinen Userinnen und Usern hinterlassen hat, zu korrigieren, und diese Userinnen und User zu motivieren, doch wieder Google als mit Künstlicher Intelligenz gestütze Such- und Antwortmaschine zu nutzen. Eine Mammutaufgabe, die bislang nur sehr wenigen Unternehmen wirklich gut gelungen ist. Eine Aufgabe, die Google nur gelingen wird, wenn es einen Kanal gibt, der steten Traffic liefert – wie eben das Suchfeld im Safari-Browser.
Es geht also um viel, denn wir müssen heute einige Realitäten akzeptieren: Jedem und jeder ist völlig egal, woher die Ergebnisse, die Antworten auf die eigenen Fragen liefern, stammen, solange sie halbwegs passen und wenig zusätzliche Arbeit verursachen. Gleichzeitig sind wir Menschen träge, was den Wechsel auf eine andere Technologie und auf alternative Anbieter angeht. Wenn wir nicht unbedingt müssen, bleiben wir dem, mit dem wir uns auskennen, solange es funktioniert, treu. Aber wenn einmal ein Player unser Vertrauen verspielt hat und damit die Motivation, etwas anderes auszuprobieren, diese Trägheit überwinden kann, dann wird es für diesen Player sehr schwierig, wenn nicht unmöglich, zu reüssieren. Und genau hier, in dieser Situation, der Player zu sein, der uns gewissermaßen betrogen hat, befindet sich Google nun.