ORF.at 1997-2023

Das Ende der ORF.at-Website ist in etwas so, "als würde der Verband der Wiener Fiaker durchsetzen, dass die U-Bahn nur mehr einmal pro Stunde fahren darf, damit mehr Touristen eine Kutsche nehmen".

Die Tagespresse hat das de facto Ende von ORF.at mit Ende dieses Jahres gewohnt böse auf den Punkt gebracht, zusammengefasst und aufgearbeitet. ORF.at what? Der Verband Österreichischer Zeitungen hat eine Gesetzesänderung erwirkt1, die es dem gebührenfinanzierten Österreichischen Rundfunk (ORF) de facto verbietet, Nachrichten im bisherigen Ausmaß auf seiner Website zu veröffentlichen. Die Printmedien würden unter sinkenden Werbeeinnahmen leiden, ein weiterer Player, noch dazu einer, der durch Gebühren gestärkt ist, wie eben der ORF, würde die Situation umso mehr verschärfen. Die Kritik an dieser Argumentation: Anstatt die journalistische Qualität in Österreich sicherzustellen (und zum Beispiel Förderungen nach Qualitätskriterien zu vergeben), wird nach rein wirtschaftlichen Kriterien einer der ganz wenigen Anbieter von seriöser und neutral präsentierter Information zurechtgestutzt.

Und wie problematisch es ums Thema Qualität bestellt ist, beschreibt die Tagespresse so:

ORF.at ist schon seit Jahren im Visier der Printlobby. Der VÖZ macht in der Dominanz der blauen Seite den Schuldigen für die aggressive Mittelmäßigkeit ihrer Online-Auftritte aus. Dass ORF.at so viel mehr Klicks als jede andere Nachrichtenseite Österreichs verzeichnet, hat laut VÖZ […] ganz bestimmt nichts damit [zu tun], dass ORF.at nüchtern berichtet, auf Clickbait verzichtet, keine Fullpage-Werbungen auf der Startseite schaltet, wo sich der Mauscursor in ein Ei, einen Kärcher oder ein Auto verwandelt, und einfach nur sachlich erklärt, was in der Welt passiert – statt wer aller in einer U6-Station Seil hüpft. Oder mit dem Sofa in der U-Bahn fährt. Oder mit zwei Matratzen. Oder mit einem Spiegel.

Die Tagespresse

Den ORF.at zugunsten solcher Berichte abzuschalten, ist schon ein starkes Stück, das die Tagespresse abermals in einem bemerkenswert passenden und in den sozialen Medien mittlerweile viel zitierten Statement veranschaulicht.

Im Falle ORF […] kam ein Gesetz [heraus], das darauf abzielt, das meistgenutzte journalistische Qualitätsprodukt Österreichs signifikant zu schwächen. Das ist in etwa so, als würde der Verband der Wiener Fiaker durchsetzen, dass die U-Bahn nur mehr einmal pro Stunde fahren darf, damit mehr Touristen eine Kutsche nehmen.

Und warum das alles? Werbeeinnahmen und Fördergelder! Doch diese Rechnung wird nicht aufgehen. Der Sieg, den der VÖZ da errungen hat, scheint ein Pyrrhussieg für die vom Verband vertretene und aus ihm heraus definierte, „österreichische Medienlandschaft“ zu sein. Die verbleibenden Onlineangebote herkömmlicher Medien werden aus der Schwächung des Sparringspartners ORF wohl nur sehr kurzfristig aufatmen können, denn die Konkurrenzfähigkeit gegenüber Dritten – in dem Fall besonders wichtig: gegenüber Dritten, die nicht in Österreich angesiedelt und so auch nicht über typisch österreichische Wege geschlagen werden können – wird zweifelsohne abnehmen. Nur ein ernstgemeinter, harter, nicht auf Förderbedingungen, sondern auf realen, wirtschaftlichen Herausforderungen basierender, und nicht lediglich der Lukrierung von Fördergeldern dienender Transformationsprozess, wie ihn zum Beispiel die New York Times hingelegt hat, würde eine faktische Verbesserung und Stärkung der Konkurrenzfähigkeit darstellen. Die Förderung sollte, ihrem Grundgedanken nach, dazu dienen; wenn sie aber als Einkommen und nicht als Investment angesehen wird, und ihren Zweck somit verfehlt, dann ist das beim Fenster hinausgeworfenes Steuergeld.

Jahr für Jahr lukrieren Österreichs Medien weniger Werbegelder. […] Der VÖZ hegt nun die Hoffnung, dass er dem ORF ein Bein abschneiden kann, das dann bei ihm nachwächst. […] Doch die frischen Werbegelder […] reisen über den Ozean nach Kalifornien ins Epizentrum des Daten-Goldrauschs. So wie alle anderen Werbegelder auch. Der Druck des VÖZ stärkt also einzig und allein die wachsende Marktdominanz von Google, Facebook und Co. […] Während Österreichs Medienlandschaft ein Stück karger wird, damit sich das VÖZ-Präsidium zu seiner Genialität gratulieren lassen kann, steigen die Aktien von Mark Zuckerberg, Larry Page oder Jeff Bezos dank der neuen Werbeumsätze aus Österreich um weitere 0,0001%.

Im Tagespresse-Artikel gibt es übrigens einen Link auf die Website der Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR), auf der die ausbezahlten und geplanten Förderungen inklusive Daten über die Förderungsnehmer, die Druckschrift, den Projekttitel (here’s the fun!), die Förderungsart und, neben anderen Positionen, auch den (teils schmerzenden) Förderbetrag. Wer also nachsehen will, ob das Geheule um die bösen ORF-Gebühren2 gerechtfertigt ist, sollte sich die Tabelle zur „Förderung der digitalen Transformation“ dort ansehen. Und dann noch viel mehr heulen.

Aber gut. Lasset uns zum Jahresende guter Dinge sein und hoffen, dass sich irgendwas ändert. Denn eine Chance sehe ich in der ganzen Aktion schon. Die gegenwärtig existierenden Medienhäuser werden sich angesichts der Bedrohung von außen, des Mitbewerbs im Inland, vor allem aber angesichts sicherlich schon bald aufkommender, ausschließlich von Künstlicher Intelligenz geschaffener Medienprodukte neuen Herausforderungen gegenüber sehen. Was einige der Onlinemedien aktuell bringen, ist nicht viel mehr wert als die auf statistischen Wahrscheinlichkeiten aneinandergereihter Wörter basierenden Produkte von ChatGPT. Die NY Times hat vorgemacht, dass man mit Qualität und einem Fokus auf die journalistische Leistung mehr erreichen kann als nur durch die kontinuierliche Stärkung von lediglich Lärm und Buzz produzierenden Nicht-Nachrichten. Es gibt also diese eine, kleine Chance für Hoffnung.

Wollen wir hoffen oder sind wir dann doch zu sehr Österreich?

Aktualisierung am 1.1.2024

ORF ON, also das neue Medienportal des ORF, ist unter on.orf.at online und sieht schick aus.

  1. Ich weiß nicht, ob „erwirkt“ hier wirklich das passende Wort ist. Wenn aber nicht erwirkt, dann war der VÖZ aber doch maßgeblich daran beteiligt. ↩︎
  2. Die Subjekte hier sind nicht unbedingt nur die Medienunternehmen, sondern viel mehr sogar die Privatpersonen, die sich, während sie 20, 30 oder noch mehr Euro pro Monat an Streamingdienste überweisen, darüber aufregen, eine „Zwangsgebühr“ bezahlen zu müssen. Steuern sind auch eine „Zwangsgebühr“ nach dieser Diktion, wenn auch anderer Qualität. Wenn sie dann aber in großen Mengen so verteilt werden, wie der Tabelle zu entnehmen ist, dann ist das wirklich in einigen Fällen ganz besonders, in anderen nur kontinuierlich, aber doch… zum Heulen. ↩︎

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