Safetyism: Schaden für die geistige Gesundheit junger Erwachsener

"Erwachsensein für Anfänger" ist ein Ding. Sehen wir uns das mal im Kontext vorhandener Angst-Hierarchien und unreflektierter Reaktionen darauf an.

In den USA häufen sich, vor allem an Colleges, Seminare, die unter dem Titel „Erwachsensein für Anfänger“ zusammengefasst werden können. Darin geht es um teilweise ganz banale Dinge, vor allem aber soll versucht werden…

to fill in the gaps of missing life skills for students with classes that range from the practical, like how to make a budget, to the relational, like dealing with imposter syndrome. […] on handling stress to full-semester psychology courses on how to be happy — more universities are offering help to students struggling with the stresses of everyday life and mental health challenges like anxiety and depression.

Holly Korbey, KQED

Die Frage, die sich nun stellt: Warum ist das so? Warum benötigen junge Erwachsene Seminare, die ihnen das Erwachsensein näher bringen? Ein Blick auf ihre Kindheit und die gegenwärtigen Erziehungsmethoden (in den USA) geben einen Teil der Antwort darauf. Das Kernproblem liegt aber darin, dass teilweise unangenehme Situationen, mit denen man als Erwachsener ab und an konfrontiert wird, von jungen Erwachsenen teilweise als weitab des Normalen wahrgenommen werden und Situationen, die man weitläufig hin als unangenehm aber als unabdingbare Realität erwachsenen Lebens zu akzeptieren lernt, als unerträglich.

Besonders krass äußert sich die unterschiedliche Wahrnehmung solcher Situationen in einem Vergleich von türkischen, russischen, kanadischen und us-amerikanischen Stundent:innen. Ihnen wurde aufgetragen, eine mit Risiko behaftete oder gefährliche Situation, die sie im letzten Monat erlebt hatten, zu beschreiben. Das Resultat:

Both Turkish and Russian students described witnessing events that involved actual risk: violent fights on public transportation; hazardous driving conditions caused by drunk drivers; women being aggressively followed on the street. But American students were far more likely to cite as dangerous things that most adults do every day, like being alone outside or riding alone in an Uber.

Und dann die – eigentlich offensichtliche – Erklärung für Probleme dieser Art: Wer im Kindesalter nicht trainiert wird – und das bezieht sich vor allem auf das mentale und soziale Training eines Menschen im Umgang mit herausfordernden Situationen -, ist in gewisser Weise schwach:

Kids’ social and emotional systems act much like our bones and immune systems: Within reason, testing and stressing them doesn’t break them but makes them stronger. But […] a strong culture of “safetyism” which prizes the safety of children above all else, has prevented young people from putting stress on the bones […] so such children are likely to suffer more when exposed later to other unpleasant but ordinary life events. […] Short cycles of stress or conflict are not only not harmful, they are essential to human development. But modern childhood, for a variety of reasons, provides few opportunities for kids to practice those skills. 

„Safetyism“, was für ein herrliches Wort. Eine Art Warnung (vor allem) für Eltern, die ihre Jungen „doch nur beschützen“ und für sie „nur das Beste“ wollen. (Nennt man solche Eltern nicht auch Helikopter-Eltern oder Glucken?)

Ich frage mich, wie diese Entwicklung in eine Serie von Beiträgen, die ich hier schon veröffentlicht habe, hineinpasst, denn im Grunde ist es nur eine Fortführung (und Explizierung) bereits Bekannten. Vor 19 Jahren habe ich über „Einsame Ideen“ geschrieben, ein Beitrag, in dem ich feststelle, dass Einsamkeit und somit die Auseinandersetzung mit einem selbst und dem Unbekannten, Persönlichkeit ausbildet. Vor 14 Jahren ist in der Süddeutschen Zeitung ein Beitrag über die 20-29-Jährigen mit dem Titel „Hilfe, die Welt will was von uns“ erschienen , in dem die Furcht vor der Konfrontation und vor Opposition als zentrales Problem einer Generation beschrieben wurde. Klingt für mich sehr nach dem, was Safetyism ausmacht.

Am meisten interessiert mich dann aber doch, wie die Angst vor oder das Unwohlsein gegenüber in gewisser Weise Normalem die Chronologie unserer Ängste beeinflusst? Die Antwort liegt in der Chronologie selbst: Jan Pettit, der diese „Fear Hierarchy“ erstellt hat, sieht als einen der letzten, entscheidenden Punkte eine Angst aufkommen, die sich darauf bezieht, das eigene Kind zu verlieren. Und wenn man sich durchliest, welche Gründe da genannt werden, dann ist die naheliegendste Lösung eines unreflektierten Handelnden für dieses Problem die faktische Umsetzung dessen, was letzten Endes zu Seminaren führt, die mit „Erwachsensein für Anfänger“ betitelt werden: Ein unabdingbarer Schutz des Kindes. Safetyism in Reinform.

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