Wohin, wenn es sich einfach nicht auszahlt?

Wenn die Gründung einer Familie sich nicht mehr auszahlt, was bleibt dann vom Leben und wozu noch Gesellschaft? Die Hoffnungslosigkeit ist längst ein latenter Zustand in den imaginierten Zukünften jüngerer Generationen.

Vor ein paar Tagen ist auf Reddit ein Beitrag mit dem Titel „All I want is to own a home and have a family. I’m coming to terms with how unrealistic it is“ veröffentlicht worden. Er ist mittlerweile gelöscht, aber die noch immer verfügbaren Reaktionen darauf bestätigen seine Kernaussage, die uns allen eine deutliche Warnung über einen gesellschaftlichen Missstand und knallroter Indikator für die unerträgliche Hoffnungslosigkeit der Generationen seit den Millennials sein sollte.

Denn wie anders kann man die Aussage eines kurz vor dem Höhepunkt seiner Leistungsfähigkeit stehenden jungen Mannes interpretieren, der so etwas verfasst?

I’m 28 so I’m on the border of Gen Z and Millennial. I make decent money, but I get paid less than older workers at my office even though we do the same job. With rent and student loans it’s barely enough to stay afloat and very difficult to save. I live in Philly where the cost of living is growing rapidly and all I spend my time working. It makes it nearly impossible to give my girlfriend the attention she deserves and she’s always working too and we realize that we might not be able to afford to have a baby. My parents didn’t save for retirement so we have to consider their old age costs as well.

I didn’t imagine our lives like this. I am not against hard work at all, but it doesn’t pay off. We’re just managing our debt at this point. Homeownership and having a baby seem like a distant dream.

Reddit

Angestaute Hoffnungslosigkeit ist wie ein Stausee, dessen Abflusssystem verstopft ist. Die Last liegt nun vollständig auf der inneren Stabilität der Staumauer. Sind aber, sei es systemisch, sei es durch schlechte Wartung, kleinste Schwachstellen in der Mauer entstanden, so werden sie zu kritischen Punkten, die dem stetig wachsenden Druck immer leichter nachgeben, bis eine von ihnen das Gemäuer zum Bersten bringt. Dieses Bersten, dieses Einstürzen, dieses Strukturversagen, das von einem einzelnen, oft winzigen, aber eben kritischen Ereignis ausgelöst wird und eine Kaskade von unkontrollierbaren und oft unumkehrbaren Entwicklungen zur Folge hat, wird gerne auch als „Dammbruch“ bezeichnet.

Wenn die große Erzählung, die man auch hierzulande unter dem Motto „Leistung muss sich lohnen“ vor dem endgültigen Aus zu bewahren versucht, von denen, die eben diese Leistung bringen, zwar anerkannt und akzeptiert, gleichzeitig aber mehr und mehr als Unmöglichkeit entzaubert, kalt und ihrer Realitätserfahrung entsprechend mit „It doesn’t pay off“ kommentiert wird, dann ist das eine Schwachstelle. Nicht einmal mehr seinen elementarsten und ureigensten Wünschen – ein Zuhause und eine Familie zu haben – nachgehen zu können, ist in einer von diesem Versprechen geprägten und auf der Grundlage dieses Versprechens aufgebauten Gemeinschaft ein ganz besonders kritischer Punkt. Doch da sind wir. Und niemand, wirklich niemand, ist bereit für die Konsequenzen, die dieser Dammbruch mit sich bringen würde.

An entire generation under the age of 30 is coming to realization that having a family and home will never be within the grasp of reality for them […] Society is not ready for the consequences of this. A generation with no stake in the system would rather watch it burn.

@BoringBiz_

Wer vermeint, vom Aufrechterhalt der Staumauer nichts zu haben, wer die Aufwendungen und damit einhergehenden Kosten für die notwendigen Wartungsarbeiten nur noch als (für einen selbst) sinnlos ansieht und nicht mehr an das Versprechen grundlegender und – hier müssen wir noch ein Stockwerk tiefer gehen – elementarer Bedürfnisse glaubt, der verliert den Glauben an ihre Wirkmacht und entzieht sich, wo nur irgendwie möglich, den Verpflichtungen, die zum Aufrechterhalt der Mauer beitragen. „Winter is coming“ ist nicht mehr die bedrohliche Ankündigung von Ungemach, Leid und Tod, sondern der hoffnungsvolle Gesang einer Gesellschaft die auf Änderung hofft und die Folgen des Winters in der Gegenüberstellung zu ihrem gegenwärtigen Zustand als Verbesserung ansieht. Das muss man sich einmal vorstellen! Aber klar: Wenn ein Haus und eine Familie im aktuellen Umfeld nicht einmal mehr eine Möglichkeit des Lebens darstellen, was hat man denn dann überhaupt zu verlieren?

Wenn alles egal ist, wenn eine ganze Generation „das System lieber brennen sehen würde“, dann passiert, was wir gefühlt schon mehrmals pro Woche zu sehen bekommen: Schreckliche, mit Ungemach, Leid und Tod verbundene, scheinbar unerklärliche Taten, die aus dem vermeintlichen Nichts heraus passieren. Taten, Aktionen und Handlungen, die unerklärlich scheinen, weil sie sich jeglicher Interpretation, die sich, wenn auch nur im Ansatz, auf Rationalität stützen könnte, entziehen. Wie meinte doch Gramsci: Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren: Es ist die Zeit der Monster.

Wir haben zwei der drei Aspekte dieses Zitats näher betrachtet. Wir sehen, dass die alte Welt im Sterben liegt, auch wenn wir uns das nicht eingestehen wollen. Wir sehen auch, dass die Monster bereits unterwegs sind. Doch was hat es mit der neuen, noch nicht geborenen Welt auf sich?

JA Westenberg beschreibt das am Beispiel der Serien The West Wing und Boston Legal angesehen und kommt zu einem unangenehmen Schluss: Wir haben uns bereits daran gewöhnt, das Alte sterben und die Monster gewähren zu lassen. Ja schlimmer noch, wir haben uns mit dem Zustand arrangiert, auch wenn uns allen klar ist, wie unerträglich, kontraproduktiv und den Fortschritt blockierend dieser Zustand – purer Zynismus, übrigens – ist, den wir aber zur Maxime und zur Grundannahme erhoben haben und somit die Monster nähren.

I’ve been rewatching The West Wing lately […] The show aired from 1999 to 2006, and watching it now feels like […] excavating the fossilized remains of a time when folks could imagine their world as fundamentally decent, improvable, and oriented toward justice. […] Boston Legal told the same story […] in a legal system that, while flawed, still seemed capable of surprise verdicts in favor of the little guy. These shows are cultural artifacts from an era when we collectively believed in what I’ll call the „upward arc“ – the assumption that despite setbacks and frustrations, the long trajectory of Western life bent toward something better.

That assumption is dead. I know this sounds melodramatic, but I think we’ve witnessed something unprecedented in our shared culture: the wholesale abandonment of progress as a governing narrative. Where we used to tell ourselves stories about systems that could be reformed, institutions that could be redeemed, and problems that could be solved, we now traffic almost exclusively in a paradigm of decay, capture, and inevitable disappointment.

JA Westenberg

Unsere Reaktion auf das Fehlen einer Erzählung und Vision für die Zukunft bei gleichzeitig vollem Bewusstsein über den Verfall, bildet einen unerträglichen, den Fortschritt blockierenden Zynismus aus, der schon so dermaßen alltäglich geworden ist, dass wir ihn – und nicht die Möglichkeit der Verbesserung – als Norm sehen und zur Grundannahme jeglichen Handelns machen. JA Westenberg trifft einen Punkt, wenn er anmerkt, dass wir zuerst danach fragen, wir wir mit dem Scheitern eines Vorhabens umgehen, und nicht, wie wir die potentiellen Verbesserungen womöglich umsetzen. Das Scheitern ist die Grundannahme, nicht die Möglichkeit der Verbesserung. Jedes Vorhaben wird somit als naiv-kindliche Vorstellung vom Wesen des gesellschaftlichen Zusammenlebens abgestempelt und in den (eben grundsätzlich) negativ konnotierten Bereich einer Fiktion transferiert. Das ist ein gewaltiges Problem, da Fortschritt und Demokratie – ich behaupte: jegliches friedliches Zusammenleben – nur funktionieren können, wenn wir uns auf eine positiv konnotierte Vorstellung einer Zukunft einigen. Fiktion ist notwendig, aber sie muss mit Respekt behandelt und nicht als Naivität abgekanzelt werden. „Bleib realistisch!“ ist die toxische Antwort hoffnungsloser Pessimisten.

In our rush to shed our naive optimism, we’ve embraced a toxic hyper-realism that borders on nihilism. We’ve become so sophisticated about institutional failure that we’ve lost the capacity to imagine institutional success. […] I worry we’ve crossed into a cultural mood that revels in disillusionment for its own sake. That shrugs when institutions fail, that mocks anyone who still speaks about ideals without irony. It’s become fashionable to believe in nothing other than decline. If you talk about the possibility of progress, you sound childish. If you express faith in institutions, you sound complicit. If you dare to hope, you’re dismissed as unserious.

This cynicism has become our new religion. Every policy proposal is met with knowing nods about how it will be undermined by special interests. Every reform movement is dismissed as performative theater designed to distract from deeper problems. Every leader who expresses genuine idealism is suspected of either stupidity or bad faith. […] The result is paralysis. […] When someone does propose a path forward, our first instinct is to explain why it won’t work rather than to ask how it might.

JA Westenberg

Da sind wir nun. Paralysiert und von der Erkenntnis geprägt, dass es scheinbar keinen Ausweg gibt. Auf der einen Seite erkennen die Jungen, dass sie es nie so weit bringen werden können wie die Alten. Ja schlimmer noch, dass ihnen die elementarsten Aspekte des Lebens verwehrt sind, egal, wie sehr sie sich an die von der Gesellschaft aufgestellten Regeln halten, die ihnen bisher zumindest das Versprechen eines geglückten und erfüllten Lebens gegeben haben. Daran glaubt nämlich sowieso niemand mehr, auch wenn wir alle so tun als ob.

Slavoj Žižek hat in einem Beitag von 2010 schon konstruiert, was dieser Widerspruch von Möglichkeit und Unmöglichkeit mit uns macht und wie wir in der Zwickmühle stecken, etwas tun zu müssen ohne zu wissen, was wir tun sollen, weil wir uns darauf eingelassen haben, zu akzeptieren, was unmöglich, ja, geradezu undenkbar ist. Sieht man sich etwas genauer an, worin die Unmöglichkeit gesellschaftlichen Fortschritts besteht, und akzeptiert die žižeksche Grundhaltung, dann stellt sich schnell heraus, dass wir hier nicht von absoluten Möglichkeiten und Unmöglichkeiten sprechen, sondern von einer Division der Gesellschaft durch einen ohnehin schon gewaltigen, aber dennoch stetig wachsenden Faktor.

Es folgt der Blick auf die Planung der Statik und Struktur der Staumauer, die den Wassermassen standhält, auch wenn einige Steine nicht mehr ganz so fest sitzen, wie sich das die Konstrukteure vorgestellt haben. Denn selbst wenn der Damm bricht, bleiben tragende, speziell verstärkte Säulen und Gerüste stehen. Sie sind aus starkem Material, für den Angriff durch die Wassermassen zu dünn und zu tief im Erdreich vergraben, um ohne massives Zutun ebenso einzustürzen.

Mögliches und Unmögliches sind heute merkwürdig verteilt, explodieren gleichermaßen in den Exzess. Einerseits bekommen wir, wenn es um die persönlichen Freiheiten sowie Wissenschaft und Technologie geht, gesagt: „Nichts ist unmöglich.“ […] Andererseits, auf dem Gebiet der sozioökonomischen Beziehungen, hält sich unsere Epoche für ein Zeitalter der Reife, in dem die Menschheit sich von jahrtausendealten utopischen Träumen verabschiedet und die Schranken der Wirklichkeit – lies: der kapitalistischen sozioökonomischen Wirklichkeit – akzeptiert hat, mit all dem, was eben nicht möglich ist. […] Es kommt darauf an, hier zwischen zwei Unmöglichkeiten zu unterscheiden: zwischen dem unmöglichen Realen eines gesellschaftlichen Antagonismus und der „Unmöglichkeit“, die von der herrschenden Ideologie in den Mittelpunkt gestellt wird. [Sie] will uns dazu bringen, die „Unmöglichkeit“ radikaler Veränderung – […] die „Unmöglichkeit“ einer Demokratie, die nicht auf ein korruptes parlamentarisches Spiel reduziert wäre – zu akzeptieren. Denn so macht sie den unmöglichen, aber sehr realen Antagonismus unsichtbar, der die kapitalistischen Gesellschaften zerschneidet. […]

Slavoj Žižek

Die Folge:

Wir […] wissen nicht, was wir tun sollen, müssen aber jetzt handeln, da die Konsequenzen des Nichthandelns katastrophal sein könnten. Wir werden gezwungen sein zu leben, „als wären wir frei“. Wir werden in vollkommen ungeeigneten Situationen Schritte in den Abgrund riskieren müssen; wir werden Teile des Neuen neu zu erfinden haben, nur um die Maschine in Gang zu halten und um zu bewahren, was am Alten gut war – Bildung, Gesundheitswesen, grundlegende Sozialleistungen. Kurzum, unsere Situation ist so, wie Stalin über die Atombombe sagte: Nichts für schwache Nerven.

Slavoj Žižek

Žižeks Artikel aus der Le Monde diplomatique ist im November 2010 erschienen, die Sache brodelt also schon recht lange. Nur die Schere ist noch ein deutliches Stück mehr aufgegangen. Auf der einen Seite haben wir diejenigen, die, mitten im Arbeitsleben stehend nicht einmal mehr ein bescheidenes Leben führen können, weil das, was sie sich – ich korrigiere: was wir uns alle – als Leben vorstellen (Haus und Familie) zu einem nicht mehr erfüllbaren Wunsch geworden ist. Auf der anderen Seite Individuen, die so viele Ressourcen verbrauchen, wie eine ganze Stadt. Ein politischer Überbau, der das implizit rechtfertigt und einiges wieder „great“ macht, und im gleichen Atemzug alles an kritischem Hinterfragen ausradiert.

Wir akzeptieren es und schweigen. Wir sitzen es aus, wie immer. Nur bedeutet dieses Aussitzen diesmal, dass ein oder zwei Generationen fallen gelassen werden und nie am Leben teilhaben werden. Da können wir noch so sehr über das zusammenbrechende Pensions- oder sonstige Systeme, die auf der Stabilität steten Nachwuchses basieren, jammern. Wenn nicht einmal mehr eine Familie möglich ist, wenn der Wunsch nach einem Haus so dermaßen absurd erscheint, dass er bei der relevanten Generation bereits aus dem Denkmöglichen gefallen ist und ihr Bild eines Lebens das bereits mit einberechnet und sich an diese Unmöglichkeit angepasst hat, dann sprechen wir von einer Generation, die ohne Anteil und Teilhabe am sie beherrschenden System lebt, somit daraus keine Früchte ziehen kann, es in ihren Augen also keinen Vor-, sehr wohl aber viele Nachteile bringt; es ihr also herzlich egal ist, ob es kracht. So, wie es auch einer Hummel an der Alten Donau herzlich egal ist, was am Yangtse Kiang passiert.

Dieser gefährliche Gedanke ist kein aktiver, sondern ein latenter; er begleitet alle anderen Handlungen dieser Generationen. Sie sind sich seiner aber kaum bewusst. Er präsentiert sich als ein Gefühl, das irgendwann mit dem Satz „es bringt ja eh nichts“ endet. Da gebe ich allen, die ich bislang zitiert habe, schon recht, wenn sie meinen, dass diese gefühlte Unmöglichkeit der Effektivität von Partizipation zu tatsächlicher Abstinenz in der politischen Entscheidungsfindung führt. Sarkasmus und Ironie begleiten jedes politische Leben. Die Vision für eine bessere Zukunft fehlt.

Nun sind wir am Tiefpunkt angelangt. Von da an sollte es doch aufwärts gehen, oder? Deshalb dieser eine Schlusssatz: Ich hoffe, meine Eindrücke, die ich durch Gespräche mit Menschen im Alter von etwa 25 bis 35 Jahren geführt habe, waren allesamt eine Ausnahme. Ich hoffe, meine Lesart verschiedener jüngere Filme und Serien, die diese Unmöglichkeiten bereits implizit transportieren, kann herausgefordert werden. Und ich hoffe, dass es nur Zufall ist, der die verschiedenen Kommentare und Essays zu dem Thema allesamt den gleichen Kern der Sache finden lässt.

Dafür, dass von Hoffnungslosigkeit die Rede ist, hoffe ich aber ganz schön viel.

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