Joseph Cox von 404 Media hat ein neues Angebot getestet, das für mich alles, was Künstliche Intelligenz an Widerlichkeit hervorbringen kann, in einem Service-Produkt repräsentiert: inTouch übernimmt für einen die (täglichen) Anrufe bei den Eltern, die man für gewöhnlich irgendwo einschiebt, um sich nach ihrem Wohlbefinden zu erkundigen oder um mit ihnen ein kurzes Gespräch zu führen; eine Künstliche Intelligenz kontaktiert die Eltern, unterhält sich mit ihnen und fasst das Gespräch, sowie einige Merkmale des Gesprächs (zB die Laune und Stimmung des Gesprächspartners) in einem Statusbericht in einer App zusammen.
inTouch […] uses an AI generated voice so your parent receives a phone call in which they can talk […] about […] how their day is going, their hobbies, and how they’re feeling. An AI-generated summary of the conversation is then sent to the child […], and includes a visual indicator of their state of mind, such as “bad mood” or “neutral mood.” […] The person setting the service up downloads an app that lets them receive the summaries and tweak notifications, such as if the AI notices the grandparent is in a low mood, if several calls are missed, or if it detects a new topic to discuss.
404 Media
Vielleicht gehen einem diese Anrufe ja auf die Nerven und vielleicht ist es auch mühsam, sich mit den Eltern zu unterhalten, während einem tausend andere Dinge durch den Kopf gehen. Aber die paar Minuten am Tag (oder in der Woche) sind in vielen Fällen der letzte Rest einer Verbindung zu denen, die man nach ihrem Tod ach so schmerzlich vermisst und sich selbst ach so viele Vorwürfe macht, nicht doch die Chance auf „ein wenig mehr Zeit“ mit ihnen gehabt zu haben.
Aber wir müssen ja nicht gleich in die Vollen gehen. Der Kontakt zu den Eltern ist in gewisser Weise immer eine kostenlose, natürliche und dem eigenen Sein vorgesetzte Verbindung, mit der man sich auseinandersetzen sollte, wo man überall anders diesen Aspekt menschlichen Lebens mit einem simplen „Mute“ doch einfach deaktivieren kann. Ich kenne sehr viele Menschen, die andauernd mit ihren Eltern streiten, wenn es zu einem Gespräch kommt. Es ist sicher nicht ganz zufällig, dass das häufig auch dieselben Menschen sind, die nur allzugern Diskussion und Streit aus dem Weg gehen. Das „Muten“ von Konversationen oder das „Blockieren“ von Personen sind ganz alltägliche Tools in ihrem Repertoire an gesprächs- und diskussions-, ja, an konfliktmeidenden Umgangsformen. In anderen Worten: Das kurze Telefonat mit den Eltern kann der eigenen Gesprächskultur und Diskussionstechnik hilfreich sein. Ausnahmen, wie immer, bestätigen die Regel. Eine Künstliche Intelligenz hier einzuspannen, ist ein Armutszeugnis für diejenigen, die einen solchen Service in Anspruch nehmen. Es ist feige. Sie verstecken ihre Unfähigkeit, Klartext zu sprechen, hinter einer technischen Lösung.
Ich denke, dass es jedem Elternteil auf diesem Planeten lieber ist, der Sohn oder die Tochter meldet sich nur zwei oder drei Mal im Jahr, dafür aber persönlich. Jedem Menschen auf dieser Erde ist ein ehrlicher Streit, eine ordentliche Beleidigung oder ein langweiliges Gespräch mit einem echten Menschen lieber als das Verschwenden von Lebensenergie an eine Künstliche Intelligenz1. An einem Service wie inTouch ist nichts menschlich, es ist ein in meinen Augen widerwärtiger Zugang zu einem der aller persönlichsten und intimen Themen, die es in einem menschlichen Leben geben kann: der innigen Beziehung innerhalb der engsten Familie, sowie dem Umgang mit in ihr herrschenden Konflikten. Das ganze Ding lebt davon, spannungsgeladen, herausfordernd und bisweilen auch langweilig zu sein. Wer das nicht anerkennt, dem gehen nicht „die Eltern“ auf die Nerven. Wer das nicht respektiert, verneint das Leben und tötet es, versteckt hinter dem Buzzword „KI“ einfach ab.
inTouch selbst sieht im Sterilisieren der Kind-Eltern-Beziehung kein Problem. Verkauft das Unternehmen diese „Zuneigung as a Service“ doch mit dem folgenden Claim gleich auf der Startseite. Und man beachte bitte die Checkboxen, die ich extra, meiner sonst üblichen zitationsweise widersprechend, nachgestellt habe! Sie brechen die innerfamiliäre Beziehung zwischen Kind und Elternteil nämlich auf drei „Features“ herunter, was allein schon wieder… ach, ich muss mir die Hände waschen gehen, wenn ich darüber nachdenke.
inTouch is not just a call. It sparks meaningful, mind-stimulating conversations with your parent. Through daily engaging calls, inTouch helps your parent build new habits that stimulate their mind, support their emotional well-being and reassure you.
☑︎ Stimulate the mind
inTouch.familiy
☑︎ Support emotional well-being
☑︎ Reassure and connect you
Wer einen solchen Service für seine Eltern nutzt, sollte sich zehn Mal überlegen, was er oder sie da eigentlich macht und ob es nicht besser wäre, den Eltern ganz direkt zu sagen, dass man kein Interesse an ihrem Leben hat. Denn das ist es! Das wäre wenigstens ehrlich. Das würde zumindest zu Klarheit führen, mit der die eigenen Eltern umgehen können (müssen). Das wäre wenigsten eine Entscheidung, zu der man stehen muss. Denn darum geht es auch: inTouch tut überhaupt nichts für die Eltern, es ist ein Programm zu Beruhigung des Gewissens der Kinder. Und damit sind wir wieder bei meinem über viele Artikel hier im Blog aufgebauten Argumentationsstrang, KI würde in den meisten Fällen nur eine Funktion, nämlich die des Kaschierens, haben. Mit der Nutzung eines Services wie inTouch wird Künstliche Intelligenz, die den Anruf bei den Eltern übernimmt und Interesse an ihrem Leben vorgaukelt, eingespannt, um das Desinteresse am Leben seiner Eltern und die eigene, moralische Verkommenheit zu kaschieren.
Wer’s nicht selbst hinbekommt, greift auf Künstliche Intelligenz zurück. Wer zu feige ist, es den Eltern zu sagen, wie wenig sie ihn eigentlich interessieren, greift auf Künstliche Intelligenz zurück. Wer mit ihnen umgehen will wie mit einem Tamagotchi (hey, Statusboard, emotionaler Stauts, vielleicht piept die App ja auch, wenn ein Problem aufzukommen droht), bedient sich der Künstlichen Intelligenz. Allgemeiner: Wer kein Problem damit hat, Künstliche Intelligenz auch auf emotionale Bindungen anzuwenden, sollte es bitte gleich ganz bleiben lassen. Ob es nun das gegenwärtige Äquivalent eines Liebesbriefes ist oder eben der Anruf bei den Eltern; das, was da angeboten wird, ist nicht nur in meinen Augen widerlich.
Obviously, the idea of having an AI call your lonely relative because you can’t or don’t feel like it is dystopian, insulting, and especially non-human, even more so than other AI-based creations. The creator, though, says it can provide a way to keep in touch with relatives and make sure they’re safe. […] I have no idea if it would actually be helpful to an elderly person and personally I would obviously be insulted if my child or grandchild outsourced talking to me to a bot.
404 Media
Ich mache also mit der Nutzung eines solchen Angebots das Wohlbefinden meiner Eltern zu einer Statusanzeige in einer App. Meine Zuneigung wird „as a Service“ bei einem KI-Anbieter bestellt und den Eltern vorgeheuchelt. Jede Minute mit so einer Künstlichen Intelligenz am Telefon ist Vernichtung von Lebenszeit, die im Falle von Eltern für gewöhnlich kürzer und ohnehin schon stark eingeschränkt ist. Ich kann gar nicht so viel zu mir nehmen, wie ich erbrechen möchte, wenn ich von solchen Services lese. Und gleichzeitig, wenn ich mir vorstelle, dass es Menschen gibt, die soetwas herstellen und, noch viel schlimmer, so etwas für die eigenen Eltern in Anspruch nehmen.
Sorry, dieser Rant musste sein.
- Das ist übrigens auch der Gedanke, den ich jedes Mal habe, wenn ich vermute – und es bestätigt sich in den allermeisten Fällen -, dass Leselisten, Filme, Serien, Handlungsverläufe oder sonst irgendetwas algorithmisch oder mittels Künstlicher Intelligenz generiert werden. Etwas zu konsumieren, das den Geist, wenn auch nur schwach, berührt, das aber nicht von Menschen gemacht ist, sondern Resultat statistischer Berechnungen, ist verschwendete Lebenszeit. ↩︎