Threads in der EU: Viel Spaß in der Bibliothek

In diesem Beitrag geht es nicht um Bibliotheken, sondern um John Grubers bemerkenswerte Dissonanz in puncto Datenschutz, den er bei Apple als Hui, in der EU jedoch als Pfui ansieht. Und dabei Facebooks Threads schützt und stützt. Was ist da passiert?!

John Gruber lässt in letzter Zeit mit einigen bemerkenswerten Aussagen zum Thema Datenschutz und der Threads-App von Facebook aufhorchen. Auf der einen Seite vertritt und verteidigt er praktisch alles, was Apple in Bezug auf mehr Datenschutz gegenüber Facebook durchsetzt. Geschieht das aber auf Ebene einer politischen Institution, konkret geht es in seinen bissigen Kommentaren der letzten Zeit häufig gegen die EU, dann wird er nicht müde, auszuteilen. Ein interessanter Zustand, der nicht nur mich wundern lässt.

Threads is the most fun, most interesting new product of the year, and no one in the E.U. can use it, or will be able to use it anytime soon, because their own elected officials passed a law that effectively bans it.

Nice job. Have fun over here in the library.

John Gruber

Noch interessanter wird es, weil Gruber für gewöhnlich kein Freund von Facebook ist und es nicht nur einmal sich nicht hat nehmen lassen, ordentlich gegen das Unternehmen auszuteilen. Fast schon absurd wird es aber, wenn man die Dinge miteinander verbindet: Apple-Datenschutz und Facebook-Aversion. Da liest man dann schon Absätze wie diese hier – und fragt sich, worin der genaue Unterschied besteht, wenn das Wort „Apple“ gegen das Wort „EU“ ausgetauscht wird. Praktisch alles, was in diesem Ausschnitt eines Artikels aus 2020 erwähnt wird, trifft auch im Jahr 2023 auf Facebook zu.

I think it’s pretty clear what Facebook wants: they want mobile app privacy to go back to the Wild West days of a decade ago, when apps could get away with whatever was technically possible, with all data-hoovering invisible to users. They can get that on iOS only two ways: (a) if Apple changes its mind, or (b) if governments around the world force Apple’s hand, by declaring that Apple’s actions in the name of privacy are in fact the abuse of some made-up monopoly. Option (a) is not going to happen, so Facebook is going all-in on (b). […] Facebook sees Apple providing users with awareness of and control over their online privacy as Apple taking away from Facebook access to something that they believe they rightfully should have free and unfettered access to. This is no different than telemarketers feeling like you’re doing them wrong when you add your phone number to a do-not-call list.

John Gruber

Vielleicht ist Haltung ein Begriff, der doch eher biegsam und flexibel ist? Von nun an erfolgt mein Gruber-Lektüre mit mehr kritischem Hinsehen als bisher. Die Vermutung, es mit einem Autor mit genuinem Bedürfnis nach Datenschutz zu tun zu haben, ist allerdings dahin.

Aktualisierung am 29. Juli 2023

Nicht nur ich wundere mich über Grubers Haltung. Bei Brooks Review ist ein Artikel erschienen, der John Grubers Haltung in Bezug auf Threads ganz spezifisch zum Thema macht und auf einen Artikel von Dmitrii Dimandt verweist, der eine Antwort auf die Frage, was denn mit Gruber los sei, präsentiert.

Why does John Gruber love Threads so much, while having a record of hating Meta’s flagrant disregard for user privacy? And it’s not because Threads is special and is super private — they literally cannot roll it out to the EU because of it breaking the privacy laws (and other reasons) there. So, like, what the actual fuck? […] It’s been bothering me, because it honestly sounds like someone bought Daring Fireball, and is pretending to be Gruber. People are allowed to change their minds, that’s fine, but this is a very out-of-character change.

The Brooks Review

Dmitrii Dimandt geht noch einen Schritt weiter und stellt nicht mehr nur noch die Frage in den Raum, sondern hat eine ganz konkrete Idee, was da eigentlich passiert und warum John Gruber sich so dermaßen schützend vor Facebooks, ähem, Metas Threads-App stellt, obwohl er doch für gewöhnlich so dermaßen gegen den Konzern ist. Die Antwort ist, so steht es auch im hier nicht zitierten Teil, viel einfacher und trauriger, denn:

Over the years Daring Fireball has built a loyal following. It has always been a good source of Apple gossip, decent summaries of tech-related discussions etc. And a lot of that audience has been sycophantic [das heißt „kriecherisch“ oder „unterwürfig“; ja, ich habe das für euch nachgeschlagen]. In the mad rush to exit Twitter several things happened: Twitter audience has declined, BlueSky audience never really materialised […] And Mastodon […] isn’t sycophantic in the least. […] I think Gruber now yearns for the days when he could mostly preach to the choir. Unfortunately for him, the alternatives to Twitter (Mastodon and BlueSky) never gave him this opportunity. An app from fuckers whose entitlement is just off the charts [das ist ein Gruber-Zitat!] might just be it.

Dmitrii Dimandt

Auch wenn man bei The Brooks Review nicht mit Dmitrii Dimandt übereinstimmt, so klingt mir die These durchaus plausibel. John Gruber hat den Anschluss verloren und die Technologie und die Netzwerke, die ihn bis dato sehr gut über Wasser gehalten haben, gingen mit Elon Musks Übernahme von Twitter verloren. Wie, wenn nicht über ein halbwegs zentrales soziales Netzwerk, kann John Gruber denn überhaupt weiterhin Geltung erlangen und sich somit in einer Rolle positionieren, die für ihn notwendig ist?

Ein interessanter Zugang. Ich beobachte weiter.

4 Kommentare

  1. Ah, endlich nimmt sich mal jemand dieses Themas an, danke!

    Mir ist das speziell bei John Gruber schon öfter aufgefallen (und teilweise auch unter https://benedikt.io/tag/gruber/ verbloggt), sei es USB-C, Wechselakkus, die App-Store-Öffnung, die Android/iOS-Best-of-Breed-App-Frage oder eben jetzt Meta/Threads (gute Beobachtung bzgl. Grubers Diskrepanz zwischen Apple/Meta und EU/Meta, übrigens ). Versteh’s auch nicht … ‍♂️

    Sicher ein schmaler Grat, wenn die eigene berufliche Existenz von einer einzigen Firma abhängt, den man da finden muss. Aber, diese Feststellung sei mir an der Stelle erlaubt, das Pendel schlägt erstaunlich oft zugunsten von Apple aus. ;)

    • Ja, das ist auch ein bisschen disqualifizierend. Er schafft es schon, sehr überzeugend zu argumentieren, auch wenn ich nun feststelle, dass sich meine Befürchtung, die „Überzeugung“ sei eigentlich nur „Marketing“, so drastisch bewahrheitet.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert