Verbrechen in England nun 60 Prozent billiger

In England sind die Gefängnisse so dermaßen überfüllt, dass die Strafen in den meisten Fällen schlichtweg um bis zu 60% reduziert werden. In anderen Worten: Verbrechen gibt's nun um nur 40% der bisherigen Gefängnisstrafe. Das erinnert an einen Ausverkauf aufgrund von Insolvenz.

Ich weiß noch nicht, was ich davon halten soll, aber wenn ich soetwas lese, dann wirkt das für mich wie eine Aufforderung, „jetzt noch schnell“ etwas anzustellen.

[Britain’s pime minister] Sir Keir Starmer has promised to send fewer people to jail in the long term [and to] automatically [release] prisoners on standard determinate sentences after they have served just 40 per cent of their time. The current threshold is 50 per cent, and exemptions for serious violent and sexual offenders are expected.

Independent

Und am Ende des Artikels, dann eine Aussage des Parlamentariers Lord MacDonald, mit der er die dramatische Situation, in der sich England befindet, auf den Punkt bringt und aufzeigt, wieso man dort einfach keine andere Wahl hat als zu kapitulieren, und vor den damit einhergehenden Gefahren warnt.

If you release a big batch of prisoners, some of them will go on to offend… We have the worst recidivism rates in western Europe. People come out of prison, they offend… So, yes, of course, there’s a huge political risk here. I think what’s depressing about this is that the only reason we’re really confronting this problem now is because the government has no choice. It literally has no choice because it’s got no cells to put prisoners in.

Ein Teil des Problems, so schreibt wiederum der Spiegel, ist die Art und Weise, wie in England gestraft und eben nicht auf Resozialisierung und deutlich früher wirkende Maßnahmen gesetzt wird. Es ist billiger und nachhaltiger, Straftaten zu verhindern, noch bevor sie zur Idee oder gar durchgeführt werden. Zu solchen Maßnahmen gehören so einfache Dinge, wie zum Beispiel Jugendzentren oder andere Gemeinschaftsräume, in denen sich Menschen beschäftigen können und früheste Anzeichen, in die Kriminalität abzugleiten, immer in Konkurrenz zu legalen Alternativen stehen, was ohne solche Räume eben nicht der Fall ist. Härteres Strafen allein – darauf dürfte England in den letzten Jahren gesetzt haben – hilft offensichtlich nicht.

Die Zahl der Häftlinge [habe sich] in den vergangenen 30 Jahren verdoppelt, obwohl die Kriminalitätsrate rückläufig sei. Ein Grund dafür seien längere Haftstrafen. […] Das britische Justizsystem setzt eher auf Strafe als auf Resozialisierung. In besonders schwerwiegenden Fällen kann eine lebenslange Haftstrafe verhängt werden, bei der Menschen tatsächlich nie wieder auf freien Fuß kommen sollen.

SPIEGEL

Wenn es möglich ist, den durch ein Verbrechen erlittenen Freiheitsentzug um 60 Prozent zu reduzieren, in dem man schlichtweg die Anzahl derer, die solche Verbrechen begehen mehr und mehr erhöht, dann verstehe ich, dass manche in so einer Sichtweise (und in entsprechenden Kanälen auf Telegram) eine Strategie entdecken könnnen, einen Staat so lange an seine Kapazitätsgrenzen zu bringen, bis er im einen oder anderen Bereich funktional scheitert. Dementsprechende Verschwörungstheorien findet man, sucht man danach, sicherlich zu hauf. Was aber dahinter steckt, ist in meinen Augen aber die sich nun tatsächlich offenbarende Kompromittierung einer bisher als kompromisslos akzeptierten Regel des (westlichen) Zusammenlebens, die, ob man will oder nicht, Zusammenhalt stiftende Wirkung hatte.

Es ist die ganz simple Wahrnehmung von der Relativierung eines bislang absoluten Wertes, der unbedingten, bislang auch mit Zwang durchgeführten Durchsetzung gültiger, der Rechtsprechung entspringender Maßnahmen, die das Weltbild einiger, wenn nicht sogar vieler, ins Wanken bringen. Denn was bleibt denn dann noch absolut, wenn nicht die Rechtsprechung und ihre Durchsetzung? Ich denke, die verschiedenen Religion haben auf so eine Verunsicherung passende Antworten. Aber ich will diesen Gedanken nicht zu Ende denken, da er umso mehr die Grundfesten dessen erschüttert, was ich als erfolgreiches Modell eines westlichen, demokratischen Staates sehe.

Es wird für kommende Generationen von Politikerinnen und Politikern schwierig, sehr schwierig, werden, die, die sie gewählt haben, davon zu überzeugen, dass dieses Modell nach wie vor Gültigkeit und vor allem auch Attraktivität aufzuweisen hat, wenn man heute schon Verbrechen zum vergünstigten Sonderpreis von gerademal 40 Prozent der eigentlich angedachten Haftstrafe druchführen kann. Heute ist es England, aber wer weiß, wo diese Probleme in den nächsten Jahren sonst noch auftauchen werden.

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