Dabei bleiben, so lange es geht

Dabei- und Dranbleiben, so lange es geht, ist eine Aufforderung, die uns ach so schwer fällt, weil wir verlernt haben, wie verantwortungsvolle Menschen zu agieren.

Manuel Morale über das Dabei- und Dranbleiben, so lange es geht. Er bezieht das Dranbleiben auf Software, die er nutzt, man kann die Sache aber auch weiter sehen und auf Dienstleister, Kunden, Lokale, Beziehungen, ja, auf praktisch alles ausweiten, zu dem man in irgendeiner Form von Verhältnis steht. Zu oft wird so ein Verhältnis zu schnell aufgebrochen, zu oft und zu unüberlegt; sodass, alles in allem, der Eindruck entsteht, nichts wäre etwas wert.

I don’t often change the tools and services I use. When I find something that works, I’m happy to stick around for the long run. Well, at least unless something major happens that forces me to reconsider my choices. […] The thing I love the most about sticking with tools for the long run is that you get to know the people behind them, and you learn to appreciate those individuals and what they do. That is especially true in my case because most of the tools I use are built by either small teams or single developers. […] Sticking around is fun, it’s enjoyable, and seeing products evolve and improve over time is both exciting and rewarding, which is why it always makes me happy when I get to contribute something back to the products I use. It’s why I’m happy to pay for good software, it’s why I’m happy to support creators I enjoy. I want good and quality things to exist in this world, and doing my small part to help that cause fills me with joy.

Manuel Morale

Nick Heer geht, auch auf Software bezogen, noch mehr auf den Aspekt der Kundenbindung, auf dieses Verhältnis ein, in das man sich mit der Entscheidung für ein bestimmtes Produkt begibt; oder hinein gezwungen wird, weil es keine Alternativen gibt.

There is quite a difference between my choosing to be a longstanding customer, and those businesses which take advantage of their position or dominance to create recurring revenue, particularly through subscriptions. […] There once was a time developers actively tried to build those kinds of client relationships through good service, quality products, and agreeable pricing. It seems that is happening less frequently. So much software now feels entirely disposable or, frustratingly, lacking in sufficient competition to become essentially a tax on the work we do.

Nick Heer

Womit wir bei dem Punkt wären, auf den ich hinaus will: Kundenbindung nennt man diesen Punkt in den Fachsprachen, ein Verhältnis zum Kunden, würde ich es gerne nennen. Und ich habe das letztens auch in einem Gespräch mit einem potentiell neuen Kunden auch so angesprochen, denn so sehe ich meine Tätigkeit auch: Ich bin nicht da, um ein Projekt abzuarbeiten, abzuliefern, abzukassieren und abzuhauen, sondern, um als neuer – wenn auch externer – Teil des Unternehmens für den Unternehmenserfolg beizutragen, und sei es „nur“ durch „good service, quality products, and agreeable pricing“.

Wir alle wissen, dass ein gutes Verhältnis zum Lieferanten, Dienstleister oder sonst einer Person oder einem Unternehmen, mit dem man in einem wirtschaftlichen Verhältnis steht, oftmals weit mehr mit sich bringt als nur die eigentliche Dienstleistung. „Darf ich Sie mal was fragen…“ resultiert nicht nur in Fragen, die über die vereinbarte Leistung hinausgehen, sondern ist das erste Anzeichen und spätere Grundfeste einer oft langfristigen, auf Vertrauen und gegenseitiger Wertschätzung aufbauenden Beziehung. „I’m happy to stick around for the long run,“ heißt es bei Manuel Morale. Man geht gemeinsam durch Höhen und Tiefen, aber beide Partner werden im Idealfall restrospektiv sagen, dass es gut war und gut ist, dass man sich gefunden hat und zusammenarbeitet. Beide lernen voneinander, beide verstehen, was der jeweils andere anbietet, aus welchem Kontext heraus das Angebot wie und warum so oder so gestaltet ist. Gegenseitige Wertschätzung, die auf gegenseitigem Interesse und Verstehen basiert. Ein Jackpot in dieser Welt.

Sicherlich, es gibt die ausnützerischen Parasiten, die lange so tun als ob, um sich den größtmöglichen Vorteil zu erschleichen, bevor sie, dreht sich der Spieß der Forderungen einmal um, von dannen ziehen. Zum Glück blieben mir solche Parasiten bislang größtenteils fern und die wenigen, die es probiert haben, habe ich rasch erkannt; wir haben unsere Geschäftsbeziehung alsbaldig wieder aufgelöst.

Eine solche Beziehung kann aber, auch dieses Szenario skizziert Manuel Morale, in die Brüche gehen, sofern „something major happens that forces me to reconsider my choices“. Diese Entwicklung kann daran liegen, dass das gemeinsame Alignment, die gemeinsam entwickelte Ausrichtung, also, nicht mehr übereinstimmt und es zu Friktionsverlusten in der Zusammenarbeit kommt. Das kann sein, weil sich der eine Partner in eine Richtung entwickelt (oder entwickeln will), die mit dem ursprünglichen Modell nicht mehr übereinstimmt, oder weil ein anderer, neuer potentieller Partner das Spielfeld betritt, der besser mit dem übereinstimmt, was erreicht werden soll. Und das, so musste ich vor gar nicht allzu langer Zeit erfahren, kann, objektiv betrachtet und über die Interna eines Unternehmens bescheid wissend, auch eine toxische Übereinstimmung sein, die sich am Ende als für beide schädlich erweisen wird.

Wir kennen solche Entwicklungen: Da sind die Jungen und Unerfahrenen, die mehr darauf bedacht sind, sich selbst zu positionieren als das Unternehmen zu stärken. Oder ihr genaues Gegenteil, die Alten, leider oft von sich überzeugten und beratungsresistenten Chefs, die auf Zurufe reagieren, auch wenn diese, auf lange Sicht betrachtet, am Ende zu Problemen führen werden. Oder Personen irgendwo zwischen jung und alt, die in einer Maßnahme eine zu große persönliche Herausforderung sehen und die zusätzliche Arbeit (die am Ende, das nur nebenbei, zu insgesamt weniger Arbeit führen würde) mit allen Mitteln verhindern wollen und so dem Unternehmen auf lange Sicht schaden. In solchen Momenten und derlei Konstellationen liegt ein Moment des Risikos, eine Art Sollbruchstelle, die man als Dienstleister, externer Anbieter, Geschäftspartner oder sonst in einer geschäftlichen Beziehung stehend, entweder tunlichst vermeiden sollte, oder aber, und das ist die meiner Meinung nach gesündere Variante, bewusst und so schnell als möglich herbeiführen. Denn erst hier, in diesem Stresstest einer wahrscheinlich im Unternehmen noch nie durchgespielten und somit evaluierten Situation, zeigt sich, wer wo steht. Im oben verlinkten Artikel hat das Unternehmen beschlossen, das Vertrauen in mich verloren zu haben; bis heute wird das enorm ineffizente System weitergeführt und Chance um Chance auf höhere Einnahmen, mehr und zufriedenere Kunden geht Woche für Woche verloren. Das will aber niemand sehen, auch wenn die Daten offen im Posteingang liegen. Womit wir bei den ersten drei Argumenten in diesem Absatz wären.

Es gibt aber noch einen Punkt, der mir besonders in letzter Zeit auffällt. Angebote, die noch vor 10 oder 20 Jahren sozusagen als Grundlage für Verhandlungen angesehen und oft nach Zusendung diskutiert wurden, werden heute als absolut, endgültig und in Stein gemeißelt behandelt. Das ist ein, zumindest für mich, unbefriedigender Zustand. Wenn ich ein Angebot versende, dann ist es nicht selten so, dass vieles von dem, was da angeführt ist, für Laien oder gänzlich Unwissende – und da ist egal, wie ausführlich man es verfasst – wenig oder keinen Sinn macht, die Zusammenhänge unklar sind, oder es schlichtweg am Vokabular mangelt, zu verstehen, was da eigentlich drinnen steht. Das ist ja auch in Ordnung, sie sind nicht vom Fach, niemand wirft einem Unwissenden vor, Fragen zu stellen oder ein Meeting anzuberaumen, in dem man das Angebot durchgeht und all die Fragen, die sich ergeben, offen beantwortet und gegebenenfalls diskutiert. Diese in meinen Augen noble Tätigkeit, der ich auch gerne nachkomme, dieses Angebot zur Abstimmung wird aber gar nicht so oft, wenn nicht sogar immer seltener in Anspruch genommen. Stattdessen lassen sich die Empfänger der Angebote – Unternehmerinnen und Unternehmer der alten Schule ausgenommen – die einzelnen Positionen von ChatGPT oder von anderen, im Betrieb tätigen Personen erklären, was oft nur zu noch mehr Verwirrung führt und nicht selten einen wenig schmeichelhaften Eindruck entstehen lässt1.

Niemand wird das verhindern können und ich selbst bekenne mich schuldig, so vorzugehen, wenn auch mir dieses Auswuchs bewusst. Sich aber zu 100 Prozent darauf stützen ohne mit dem Anbieter zumindest eine Viertelstunde zu besprechen, was los und wie dieser oder jener Posten zu verstehen ist, zermürbt die Sache in die einer KI innewohnende Mittelmäßigkeit oder der von Angestellten geäußerten, lediglich in einer Änderung der Arbeitsweise begründeten, jedoch als Argument mit anderem Inhalt getarnten Befürchtung.

Also wieder zurück. „Dabei bleiben, so lange es möglich ist“ und „dranbleiben, so lange es geht,“ sind nicht als Statements zu lesen, sondern quasi als Imperative, die auf einen Zustand abzielen, den wir offenbar (und nicht nur im professionellen Umfeld) verlernt haben: das Sich-fallen-lassen in eine geschäftliche Beziehung, das Eingehen von Risiko, um am Ende das große Spiel zu spielen. Wenn ich mir aber ansehe, mit welchen, fast schon peinlich unangenehmen Mitteln und Maßnahmen versucht wird, dieses Fallenlassen, dieses Sich-darauf-einlassen zu umgehen, wie sehr eine ganze Industrie darauf bedacht ist, so viel Risiko wie nur irgendwie möglich, aus der Sache zu entfernen – und wir alle wissen, dass das Marketing- und Verkaufsargumente sind, die sich früher oder später rächen -, dann sehen wir, was für panische Angst und was für ein Unwohlsein bei all denjenigen herrscht, die in die Situation kommen, mit dem Umstand umgehen zu müssen.

Warum also nicht von Anfang an so handeln, wie es Manuel Morale und auch Nick Heer tun: Davon ausgehen, nämlich, dass eine Entscheidung in einer langfristigen Bindung, in einer langfristigen Beziehung, in einem langfristigen Verhältnis münden… soll. Das ändert die Prozesse retrospektiv, verändert die Grundlagen für Entscheidungen und ermöglicht für alle ein Zusammenleben und -arbeiten, das am Ende dazu führt, gute und hochwertige Produkte auf den Markt zu bringen, die nicht nur den Kunden in der Nutzung Freude bereiten, sondern auch den an der Herstellung direkt oder indirekt Beteiligten in der Planung, Entwicklung und Produktion Spaß gemacht haben.

  1. Beispiel: Ein Mitarbeiter hat einmal einen Drucker erfolgreich angeschlossen, also soll er das Angebot für die Integration des Onlineshops in die Warenwirtschaft evaluieren. Oder: Eine Kollegin hat in einem Folder Tippfehler in Produktnamen entdeckt, also bestimmt sie fürderhin die Weiterentwicklung des Corporate Designs. – Fast unglaublich, aber alles schon erlebt! ↩︎

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