Google Chrome bekommt mit der Version 121 drei generative AI-Features verpasst, die das Browsen im Web „einfacher und effizienter“ machen sollen. Automatisiert gruppierte Tabs finde ich richtig gut, mit AI generierte Browser-Themes sind mir komplett egal, aber das dritte Feature hat mich angesichts verschiedener Beiträge, die ich hier zum Thema Schreiben veröffentlicht habe, besonders schmunzeln lassen. Die Funktion, nämlich, das Verfassen von Texten im Web zu vereinfachen.
Writing on the web can be daunting, especially if you want to articulate your thoughts on public spaces or forums. […] We’ll launch another experimental AI-powered feature to help you write with more confidence on the web — whether you want to leave a well-written review for a restaurant, craft a friendly RSVP for a party or make a formal inquiry about an apartment rental. […] Type in a few words and our AI will kickstart the writing process for you.
Google Blog
Dass dieser Absatz mit einem Verweis auf die entmutigende Wirkung des Verfassens von Texten für öffentliche Räume oder Foren beginnt, spricht Bände, denn es wird genau diese Funktion sein, die aus der Entmutigung (es selbst zu tun) eine Abhängigkeit (nämlich KI-Funktionen dafür zu nutzen) generieren und so diese Entmutigung noch mehr bestärken wird. Die fürs Verfassen eines Beitrags notwendige Reflexion wird verlorengehen, der eigene Gedanke niveliert. Das Werkzeug wird zur Dienstleistung und für die kann man Geld verlangen. Doch das ist nicht das einzige Problem, das die neue KI-Funktion mit sich bringt.
John Herrman stellt sich die Frage, ob eine solche Funktion im Kontext der Mensch-zu-Mensch-Kommunikation überhaupt Sinn macht und ob Googles neuer, mit KI ausgestatteter Browser nicht das Ende des menschlichen Internets bedeuten könnte. Eine so tiefgreifende Änderung in dem Tool, mit dem wir das Web aufrufen und nutzen, könnte ganz andere, nämlich das Wesen und die Natur der im Internet übermittelten Nachrichten verändernde Folgen haben. Das Grundproblem sieht John Herrman in der Intention und Motivation, überhaupt Texte online zu verfassen und das Nicht-Problem, das Google Text-KI nun löst, dafür eine Schreibhilfe zur Verfügung gestellt zu bekommen. Wer motiviert ist, etwas zu schreiben, will etwas schreiben und diese Tätigkeit und Praxis in genau diesem Moment nicht an eine KI abgeben.
Der Grundgedanke, der das nun zum Problem macht, lautet: Was ist denn das Internet, auf das wir potentiell mit selbst verfassten Statements und Texten reagieren, wenn nicht eine Sammlung von Texten, die von Anderen an uns gerichtet geschrieben wurden? Was ist denn unsere Antwort, unser Kommentar, unsere Meinung, wenn nicht eine Antwort auf eine Aussage mit einem anderen Menschen als Adressaten? Was ist denn das alles, wenn nicht eine Art Dialog mit Menschen, die das Bedürfnis haben, sich auszutauschen?
For the first time, potentially billions of people will be confronted with the option to have software write on their behalf, in virtually every online context: not just emails or documents, but social-media sites, comment sections, forums, product reviews, feedback forums, job applications, and chat platforms. […] Google will offer users statistically likely responses, as well as options for making them shorter or longer or adjusting their tone. The web as we know it is, basically, the result of billions of people typing into billions of browser text boxes with the intention of reaching other people, or at least another person. The experiences of searching, reading, shopping, and wandering on the web have depended on varying extents on the presence of text and media that other users have contributed, often for free and under the auspices of participation in human-centered systems — that is, as themselves, or some version of themselves, with other people in mind. […] Does a “help me write” button make sense to anyone in the context of a Reddit thread, a fired-up comment section, a jokey response to a friend’s post, a Goodreads review, or an Amazon product page? These are contexts where evidence of humanity is valuable, and where the averaged-out tones of generated text might read as competent spam.
John Herrman
Umgekehrt macht die Nutzung KI-unterstützten Schreibens Sinn, wenn der Kontext ein Task, eine Pflichtübung, kurzum eine Aufgabe ist, die mit einer von innerlicher Motivation weit entfernten Intention einhergeht. Wenn nämlich die Person, die schreibt, eigentlich gar nicht schreiben will, und die Aufgabe, die ihr gegeben wurde, einfach nur erledigt haben möchte. – So ziemlich das Gegenteil von intrinsisch motiviertem Handeln, oder?!
AI text generation makes some sort of sense when content is being extracted from people who don’t particularly want to produce it: in the form of an assignment, a mundane work task, or as a form that just needs to get filled. These are situations that are already in some way dehumanized.
Auf die Eskapaden auf Rezensionsplattformen, vielleicht auf Googles Business-Index in Google Maps selbst, bin ich jetzt schon gespannt. Am Anfang wird es ziemlich lustig sein, die KI-generierten, negativen Rezensionen von beleidigten Kund:innen zu lesen, auf die ebenso beleidigte Unternehmer:innen mittels ebenso KI-generierter Statements antworten. Wir werden das Frustablassen in semi-freundlichen Worten, geschrieben von einer KI, miterleben und uns über Wochen und Monate hinweg darüber lustig machen, wie eindeutig erkennbar die einzelnen Sätze sind, das Gestammel, das, um der Sache Nachdruck zu verleihen, von ebendiesen Personen eingefügt wurde und so gar nicht zum Rest des Textes passt. Wir werden uns lustig machen über die Hilflosigkeit, die eine „Hilf mir schreiben“-KI noch offensichtlicher ans Tageslicht führen und den Peitschenschlag der Entmutigung noch schmerzhafter, nämlich ex-post und unwiderruflich, auf die offenen Wunden des Selbstbewustseins schnalzen lassen wird.
Am Anfang.
Mit der Zeit aber werden die immerselben Argumente und Satzkonstruktionen fad und langweilig werden, die Desavouierung der Vielen zu unangenehmem Fremdschämen führen. Wir werden uns andere Formen der Unterhaltung suchen, neue Medien, die interessanter, ehrlicher und vor allem menschlicher wirken. In denen geschimpft und beleidigt (und lose moderiert) wird und nicht artifiziell wirkende, nicht zum Inhalt passende Sätze vermeintlich konstruktive Kritik zu transportieren versuchen.
Das wird nicht nur für KI-gestützte Kommentare und Rezensionen gelten, sondern auch für Zeitungs-, Magazin- und Blogbeiträge, die früher oder später unter dem Druck, „SEO zu berücksichtigen“ oder anderer, wirrer, dem Marketing dienender, tatsächlich aber Inhalt und Ton verändernder Handlungsanleitungen und -vorgaben zu unendlicher Gleichheit und einer langweiligen, abgeflachten Netzkultur führen. Es ist ja jetzt schon so: wo KI zum Einsatz kommt, verschwindet allmählich, den Autorinnen und Autoren oft leider nicht bewusst, das Individuelle und Besondere, das aber ursprünglich der Grund war, ihre Texte überhaupt zu lesen.