Dem Internet beim Sterben zusehen

Über das von Menschen für Menschen gemachte Internet, dem wir gegenwärtig beim Sterben zusehen können.

Edward Zitron, den ich bislang hier nur einmal, da aber gleich äußerst heftig, in Bezug auf Mark Zuckerberg und das Ende von Facebook zitiert habe, taucht in letzter Zeit häufiger auf meiner Leseliste auf. Heute stellen wir uns die Frage, ob wir, bedingt durch Enshittification und Künstliche Intelligenz, dem Internet beim Sterben zusehen.

We’re at the end of a vast, multi-faceted con of internet users, where ultra-rich technologists tricked their customers into building their companies for free. […] Executives see users not as willing participants in some sort of fair exchange, but as veins of data to be exploitatively mined as many times as possible, given nothing in return other than access to a platform that may or may not work properly. […] What’s happening to the web is […] the destruction of the user-generated internet, where executives think they’ve found a way to replace human beings making cool things with generative monstrosities trained on datasets controlled and monetized by trillion-dollar firms. […] As more internet content is created, either partially or entirely through generative AI, the models themselves will find themselves increasingly inbred, training themselves on content written by their own models which are, on some level, permanently locked in 2023, before the advent of a tool that is specifically intended to replace content created by human beings.

Edward Zitron

Künstliche Intelligenz flutet also das Internet mit künstlich geschaffenem, aber eigentlich bedeutungslosem Content. Sie füttert sich selbst mit von ihr selbst geschaffenem Content. Und da die Contentproduktion darauf ausgelegt ist, die Erfolgskriterien der Algorithmen großer Plattformen zu erfüllen, um mehr Reichweite zu erhalten, bewegt sich das, was wir als Internet kennen, von uns Menschen immer weiter weg.

Ein krasses und sehr offensichtliches Beispiel für das Problem ist der Verlust von Qualität auf Suchergebnisseiten bei Google, was ich hier immer wieder kritisiert habe. Aber nicht nur Google leidet am selbst verschuldeten Inzest KI-generierten Contents. Es sind auch LinkedIn, TikTok, Amazon, Facebook, Instagram, YouTube, Etsy, eBay und praktisch die gesamte Verlags- und Publikationswelt. Die entscheidende Frage, die sich alle dafür Verantwortlichen bei all den genannten und allen anderen Plattformen, die Inhalte mittels Algorithmus sortieren und filtern, stellen müssen, beschreibt Edward Zitron so:

There are […] too many users, too many websites and too many content providers to manually organize and curate the contents of the internet, making algorithms necessary for platforms to provide a service. […] Generative AI allows creators to weaponize the algorithms‘ weaknesses to monetize and popularize low-effort crap, and ultimately, what is a platform to do? Ban anything that uses AI-generated content? […] How does a platform judge the difference between a popular video and a video that the platform made popular? And if these videos are made by humans and enjoyed by humans, why should it stop them?

Edward Zitron

Ich fürchte, wir werden aus dieser Abwärtsspirale nicht herauskommen und dass Plattformen von Menschen geschaffene Inhalte dem von Künstlichen Intelligenzen generierten Content bevorzugen, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Sie werden in noch ausgeklügeltere Filter- und Sortieralgorithmen und die Hersteller von KI in noch besser darauf abgestimmte Systeme investieren. Wir sinken somit immer schneller in ein Internet, das nicht mehr aus Geschichten, Erlebnissen, Kommentaren und anderen Formen der Erzählung besteht, die von Menschen genutzt werden, weil sie ihre Erlebnisse und Eindrücke anderen Menschen mitteilen wollen wollen, sondern in eines, das mehr und mehr aus Content besteht, der lediglich den Erfolgskriterien von LinkedIn, TikTok, Facebook, Instagram, YouTube, und vielen anderen Plattformen entspricht, somit aber der ureigensten Intention, die ein Autor oder eine Autorin empfindet, nämlich ein Erlebnis zu reflektieren und in eine digital vermittelbare Form zu transformieren, diametral entgegengesetzt ist.

Entweder, wir enden in einem Internet, dessen Inhalte für die Konsumation und für die Aufmerksamkeit generiert werden, sozusagen ein Freizeitpark der Inhalte, oder wir entwickeln ein Internet, das uns weiterbringt, das uns inspiriert, motiviert und bildet. Wir wissen wohl alle, welcher dieser beiden Zugänge sich, den „low-background“ Zustand1 eines Internets vor ChatGPT unwiederbringlich zurücklassend, durchsetzen wird. Und weil wir dem kaum etwas dagegenhalten können, bleibt uns nicht viel anderes als dabei zuzusehen, wie das Internet – konkret: das von Menschen für Menschen gemachte Internet – vor unseren Augen zugrunde geht.

Große Hoffnung in eine der Flut von KI-generiertem Content entgegenwirkende Kraft setze ich in kleine, private Websites, vor allem Blogs. Sie sind, ihrer Natur entsprechend, persönlich gehalten und immer auch ein Hobby, dem Bloggerinnen und Blogger nicht nur zwanglos, sondern vor allem mit Freude nachgehen. Und genauso, wie jemand, der viele Sonntagvormittage gerne in der Garage verbringt, um an einem Oldtimer zu arbeiten, seinem Hobby diese Zeit nicht etwa widmet, um das Fahrzeug lediglich für eine Reise flott zu machen oder für eine Schau vorzubereiten, es also einem Zweck unterstellt und die Tätigkeit dabei zur pragmatischen und zweckgebundenen Notwendigkeit verkommen lässt, sondern das große und hehre Ziel zu erreichen versucht, sich vermittels seiner Leidenschaft bedeutende und erfüllende Genugtuung zu verschaffen, das Hobby also als Selbstzweck ansieht und darin Erfüllung findet, so denke ich auch, dass Beiträge und Artikel auf privat betriebenen Blogs nicht etwa weiterhin publiziert werden, weil diejenigen, die sie verfassen, von der leidigen Vorgabe, dem Algorithmus einer Plattform so gut wie möglich entsprechen zu müssen, geplagt werden und somit ihre Tätigkeit einem Zweck unterstellen, sondern, weil die Autorinnen und Autoren dieser Beiträge dasselbe Ziel verfolgen, das auch die Hobbymechaniker jeden Sonntagmorgen anstreben, nämlich, sich in ihrer Tätigkeit ausdrücken, sich darin finden, der inneren Motivation frei nachgehen und ihr die Zeit widmen zu können, die es braucht, um den dunklen und muffigen Maschinenraum der Zweckgebundenheit zu verlassen und das Hobby auf das Sonnendeck des Selbstzwecks zu hieven, ihm somit eine Qualität zu verleihen, die es denjenigen, die ihm nachgehen, erst möglich macht, darin – und nicht nur dabei – Freude, Genugtuung, Klarheit und Zufriedenheit zu finden. Das entspricht auch dem ursprünglichen und ureigensten Sinn und Zweck des Bloggens. Ich denke, hoffe und wünsche mir, dass Blogs low-background bleiben und ich mehr zu lesen bekomme, bei dem ich spüre, dass es dem Blogger oder der Bloggerin Spaß gemacht hat, daran zu arbeiten und seine beziehungsweise ihre Leserinnen und Leser mit gendergerechter Formulierung herauszufordern oder ewig langen, von Nebensätzen durchsetzen Monstersätzen zu quälen.

Und ich bin mir ziemlich sicher, dass keine KI einen solchen, aus mehr als zweihundert Wörtern bestehenden Satz wie den vorhin, jemals verfassen und somit den Leserinnen und Lesern die Aufgabe, einen solchen Satz zu verarbeiten, antun würde; das wäre zu kompliziert, das entspricht nicht der Norm. Und die Wahrscheinlichkeit, Menschen mitten im Lesefluss zu verlieren, ist zu hoch. Der Satz würde den Zweck des ihn einbettenden Artikels verfehlen. Klar, so lange Sätze zu lesen, ist nicht einfach, und ich bin mir sicher, dass der eine oder andere die Länge und Verschachtelung bereits beim Lesen insgeheim kritisiert hat – beides Argumente, die eine KI kennt und solche Sätze somit automatisch verhindert – doch wo bleibt da der Spaß, dem Crescendo des Satzes zu folgen? Die in uns allen innewohnende Lust, sich über den Autor und seine Angewohnheit, solche Sätze zu produzieren, aufzuregen? Wo, um auch ein wenig kontrastreicher zu provozieren, das angenehme Gefühl, das Ende eines solchen Satzes erreicht und seine Wirkung (und Auswirkung) auf das eigene Denken empfunden zu haben? Das ist dann alles weg. Dafür rangiert der Artikel weit oben in den Suchergebnissen, unmenschlich und leer wie alles, was man da oben findet, in diesem toten, beseelten Internet.

  1. In Edward Zitrons Artikel wird das Aufkommen von Künstlicher Intelligenz im Internet mit der Unumkehrbarkeit radioaktiver Verschmutzung gegenwärtig produzierten Stahls verglichen. Was es mit „low-background steel“ auf sich hat, sollte man sich auf Wikipedia durchlesen. Man lernt nie aus und das, was man da erführt, habe ich erst durch die Referenz in Zitrons Artikel entdeckt. ↩︎

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