Grübeln, was ich öffentlich teile

Überlegen, was ich öffentlich teile. Überlegen, was Andere tun dürfen. Die Intention ist es, die zählt, aber vielleicht sollte man erst gar nicht denken, um Probleme zu vermeiden?

Luca (ja genau, der Luca!) hat vor ein paar Tagen einen Gedanken auf Mastodon veröffentlicht, den ich ganz ähnlich auch schon (und wie er: immer wieder) hatte. Was kann man eigentlich öffentlich teilen und was soll man öffentlich teilen? Und wie? Vor mehreren Jahren, so Luca, habe er „fast alles verbloggt und -twittert“, dann wurde ihm gesagt, er solle es sein lassen, was dazu geführt hat, dass er sich weiter und weiter zurückgezogen hat. Nun grübelt er wieder, was er öffentlich teilen könnte, denn das Schreiben ist auch für ihn ein Werkzeug, um Gedanken zu strukturieren, und das Veröffentlichen eine Möglichkeit für den Gedankenaustausch.

Ich kann das Grübeln gut nachvollziehen. Ich war zwar nie in der Situation, dass mir jemand gesagt hat, ich solle das (Bloggen) lassen, sehr wohl aber hatte ich einerseits unschöne Kontakte mit Personen, die sich an einem oder mehreren meiner Beiträge gestoßen haben, andererseits, aber zum Glück nur ein einziges Mal, hat sich jemand dazu bemüßigt gefühlt, ganz konkret die Rücknahme eines von mir veröffentlichten Beitrags zu fordern (was ich, das nur nebenbei, nicht getan habe, weil die Begründung für diesen massiven Eingriff schlichtweg nicht zulässig war – was der Betroffene nach einer Aussprache im Café auch eingesehen hat). Bei diesen Dingen ging es aber immer nur um Lappalien. Keine persönlichen Dinge.

In Lucas Statement geht es mehr um einen anderen Aspekt des (öffentlichen) Bloggens, um einen Zugang zur Veröffentlichung von Meinungen und Gedanken, nämlich, der von einigen Menschen in eine Richtung getrieben wird, die Offenheit und den freien Fluss von Gedanken aktiv fördern wollen, während genau dieser Fluss von anderen aus teils absurden Gründen aktiv blockiert wird. Ich denke, hier prallen zwei Welten, zwei Verständnisse von Gesellschaft und Gesprächskultur aufeinander: Auf der einen Seite gibt es diejenigen, die in einen Dialog treten, ihre eigenen Ideen und Gedanken für Kritik freigeben oder zumindest auf neue Ideen aufmerksam gemacht werden wollen, auf der anderen Seite diejenigen, bei denen jede Äußerung und jede Formulierung bewusst oder unbewusst auf die Waagschale gelegt und auf Konformität mit einer angenommenen und als anerkannt verstandenen Meinung (oder Schreibweise) geprüft wird, um ja nicht irgendwo anzuecken oder eine als Norm verstandene Regel zu brechen. Die einen beziehen sich dabei auf eine imaginierte Mehrheit, wieder welche ducken vor dem „Standesrecht“, andere wiederum sehen einen Imageverlust… – Dämonen gibt es viele!

„Das kannst du doch bitte nicht sagen!“, heißt es dann. „Kann dir das nicht beruflich schaden?“ oder „Was würdest du tun, wenn das deine Auftraggeber oder deine Vorgesetzten lesen?“, wird man dann besorgt gefragt. Oder, wie in Lucas Fall, „Lass es sein, […] um nicht weiter anzuecken und um Konflikte zu vermeiden!“

Ich stelle mir ein Leben, in dem ich so etwas Banales wie einen Gedanken „sein lassen soll“, um „nicht anzuecken“ oder weil er womöglich von jemandem gelesen wird, der ihn für ungut halten könnte, schrecklich vor. Ich verstehe, dass es Grenzen gibt und ich weiß auch, wo ich was veröffentlichen kann ohne für großen Aufruhr zu sorgen, aber der grundsätzliche Zugang sollte auf keinen Fall einer sein, der schon bei der Formulierung der eigenen Gedanken fremde Wünsche berücksichtigt. Sie sollten wenn, dann erst später, womöglich im Rahmen einer Diskussion, eines Kommentarthreads oder sonstwie berücksichtigt und respektiert werden; was aber immer noch nicht bedeutet, dass sie anerkannt werden müssen. Zu oft habe ich mich mit Personen unterhalten, die schon bei der Ausformulierung ihrer Gedanken Abstriche gemacht und diese schon verwässerten Gedanken als die originär ihren präsentiert haben. „You shouldn’t be thinking it in the first place,“ möchte man fast in Abwandlung des Eric Schmidt’schen Zitats meinen. Ungut, unschön, eine Unkultur. Sprich frei, sag, was du denkst! Aber denke frei, bevor du sprichst!

Ich hatte vor Jahren einmal die Idee, das Berechtigungssystem von Flickr hier auf meinem Blog umzusetzen.

  • Es gibt Beiträge für die Öffentlichkeit.
  • Es gibt Beiträge für die Familie.
  • Es gibt Beiträge für Freunde.
  • Es gibt Beiträge für Freunde und Familie.
  • Und es gibt Beiträge für Gruppen. Das sind spezielle Personenkreise, wie zum Beispiel Mitreisende oder die auf einem Event Anwesenden, die mittels eines speziellen Links vollen Zugriff auf alle auf ein Thema bezogenen Beiträge haben, unabhängig davon, ob die Beiträge als „für Freunde“ oder „für Familie“ gekennzeichnet sind.

Die Idee ist genial einfach und millionen-, wenn nicht milliardenfach auf Flickr erprobt worden. Es hat gut funktioniert und war in meinen Augen ein Erfolgsmodell, bevor Social Media-Giganten es pervertiert und verdreht haben. Aber es war mir zu mühsam, das umzusetzen und aufrecht zu erhalten. Also ist das wieder vom Tisch. Auch, weil eine technische Maßnahme, so genial einfach und effektiv sie auch ist, das, was eigentlich hinter der Aufforderung, es sein zu lassen, steckt, nicht lösen wird. Denn worum geht es in Wirklichkeit?

In Wirklichkeit hat sich jemand ermächtigt gefühlt, einem vernünftig und klar denkenden Menschen zu sagen, was er tun soll. Jemand hat es als völlig unproblematisch empfunden, die Selbstbestimmung und freie Meinungsäußerung eines Menschen versteckt hinter einem als freundlich getarnten Hinweis, infrage zu stellen. Jemand hat ihm unter dem Vorwand, es gut zu meinen, die möglichen Nachteile seiner Leidenschaft als subtile Drohung vorgehalten. Für mich liegt hier der Stein des Anstoßes und nicht auf einer viel später angesiedelten Ebene, die sich auf die Frage, was man öffentlich teilen kann, konzentriert.

Statt des Ratschlags, es sein zu lassen, würde ich mir Unterstützung und einen aktiven Austausch von Gedanken erwarten. Statt der Selbstermächtigung, Gedankenpolizei zu spielen, eine kritische Reflexion darüber, wieso es überhaupt dazu kommt, dass sich jemand einer Person gegenüber in der Rolle sieht. Und freundliche Hinweise sind immer gut, vor allem, wenn sie durchdacht, hochwertig und ohne schlechte Intention sind, keine Frage, aber manchmal sind sie einfach nur die Hülle oder das Trägermedium für eine Botschaft, die in ihrem Kern so gar nicht freundlich ist.

Vielleicht ist es ja das. Vielleicht aber auch nicht. Alles Gute!

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