textasylum.de hört auf

Andreas hat einen letzten Beitrag auf textasylum.de veröffentlicht und seinen Blog anschließend abgeschaltet. Der Titel: Aufhören, wenn es am schönsten ist. Ein paar Gedanken dazu.

Andreas von textasylum.de hat seinen Blog dicht gemacht. Schon im März habe ich auf seinem Blog einen das Bloggen im Jahr 2023 in Frage stellenden Artikel gelesen, in dem er wehmütig an das, was Bloggen einmal war, erinnert und den Verfall des Konzepts Blog durch die auch dort eindringende Kommerzialisierung beschreibt. Ich kann einige der Gedanken nicht bestätigen – zumindest nicht in der Intensität, in der Andreas die Kommerzialisierung wahrgenommen hat -, aber die grobe Richtung in der Argumentation kann ich durchaus nachvollziehen.

Früher waren Weblogs eigentlich Notizbücher oder Tagebücher, und Blogposts waren nicht als fertige Produkte gedacht, sondern als Reflexionen aktueller Gedanken. Viele Blogs waren ein bunter Themenmix und irgendwie nahm man als Leser am Leben der Blogger*innen teil. […] Irgendwann hat man gemerkt, dass man mit dem Bloggen auch Geld verdienen kann. […] So wurden […] private Weblogs immer mehr zu Werbeflächen, die ihren Charme verloren und irgendwann auch ihre Leser. […] Diese Leser sind längst auf andere Plattformen ausgewichen. Der Erfolg von Instagram, TikTok, Snapchat und Co. ist kein Zufall. Dort findet man genau die privaten Inhalte, die früher die Blogs ausmachten.

Ist Bloggen überhaupt noch sinnvoll?

Nur zwei Monate später stolpere ich beim Lesen meiner Newsfeeds dann auf den wohl letzten Beitrag, den Andreas am 31. Mai 2023 um 9:29 Uhr auf seinem Blog textsylum.de veröffentlicht hat. Die Website ist bereits abgeschaltet, man findet diesen Beitrag also nicht mehr online. Er existiert für mich auch nur im wohl bei Feedbin zwischengespeicherten Newsfeed der Website und ich weiß, dass wenn ich nun weiterscrolle und dieser Beitrag im Feedreader somit als gelesen markiert wird, ich dieses letzte Stück nie wieder zu sehen bekommen werde. Denn auch das Webarchiv, auf das ich zum Beispiel beim oben angeführten Zitat verlinken konnte, hat diesen Artikel noch nicht im Archiv. Der Titel: Aufhören, wenn es am schönsten ist.

Irgendwie habe ich mein halbes Leben im Internet geschrieben. Angefangen von Foren bis hin zu zahlreichen Blogs.

Alles nahm seinen Anfang, als das Internet noch DFÜ (Datenfernübertragung) hieß. Ich hatte eine ziemlich große Mailbox, später ein paar Foren und dann viele Blogs. Das hat mir immer Spaß gemacht, aber leider verliere ich immer mehr die Lust daran. Die Neuauflage von Textasylum war ein weiterer Versuch. Ein Versuch, ob mir das Bloggen wieder Spaß macht, und das hat es anfangs auch. Aber ich merke immer mehr, dass mir zunehmend die Motivation fehlt.

Eigentlich bin ich ein Freund des Microbloggings geworden, auch wenn mir 500 Zeilen bei Mastodon manchmal zu wenig sind. Aber das ist jetzt mehr mein Format. Und dann gibt es noch ein paar tolle Newsletter, die ich gerne lese. Ich könnte mir auch so etwas vorstellen, also einen Newsletter schreiben oder so. Das ist halt eine andere Form des Schreibens, als Blogbeiträge zu verfassen.

Von daher werde ich das Blog schließen und vom Netz nehmen. Ich bedanke mich bei allen Lesern, falls es welche gab :-).

Aufhören, wenn es am schönsten ist„, letzter Beitrag auf textasylum.de (31.5.2023, 9:29 Uhr)

Es gab welche, Andreas, und der Dank ist angekommen!

Es ist schade, dass ein weiteres Element des freien und unabhängigen, eben nicht kommerzialisierten Internets, verloren geht, aber ich kann die Beweggründe, die Andreas präsentiert hat, sehr gut nachvollziehen. Wenn ich mir Jason Kottkes Artikel zum Bloggen nach 20 Jahren (aus 2018) ansehe, dann spielt Kommerzialisierung auch hier eine Rolle, Tim Bray hingegen sieht private Blogs fast schon als Gegenpol zu dieser Entwicklung. In jedem Fall aber stellen wir alle fest, dass sich das, was wir Internet nennen, in eine Art Fernseh-Internet ohne Interaktion, ohne Kommentare, ohne tatsächlichen Meinungsaustausch entwickelt hat und eine Kontroverse eher mit dem Blocken eines Accounts (auf Twitter, Mastodon, etc.) beantwortet wird als mit einer sinnvollen, ehrlichen, nachvollziehbaren und dokumentierten Diskussion.

Ein Aspekt aus Andreas‘ Artikel im März ist jedoch nach wie vor gültig und bildet meine Motivation zu schreiben als Technik des Verarbeitens von erlebtem Alltag ab. Vor knapp 20 Jahren bin ich im Blog „Ostracised from Österreich“ (leider auch schon seit 17 Jahren nicht mehr aktiv, aber immerhin noch verfügbar) zum ersten Mal auf diesen Gedanken gestoßen. Vor zehn Jahren habe ich selbst festgestellt, dass mein Blog das ist, was man einen „slow live blog approach“ nennt. Und als ich mich vor ziemlich genau einem Jahr im Artikel „Warum bloggen“ zum Intro „Bloggen ist Seven of Nine, Social Media ist Borg“ hinreißen ließ, habe ich mir selbst vor Augen geführt, was in Zusammenhang mit dem Verfassen von Texten eine sich immer und immer wieder bestätigende Wahrheit zu sein scheint, die sich sogar auf aktuelle Entwicklungen in der Nutzung von ChatGPT auswirkt: Die meisten schreiben nicht, was sie denken, sondern um herauszufinden, was sie denken. – Ein kommerzialisierter Blog kann das nicht bringen, denn dort ist der dokumentierte Erkenntnisprozess irrelevant, die Selbstdarstellung hat Vorrang. Und ChatGPT tötet das Schreiben als mechanischen Prozess ohnehin, noch bevor er überhaupt beginnt.

Es gibt aber noch einen anderen Aspekt des Bloggens. Sofern Blogs noch online sind, sei es, weil die URLs tatsächlich noch funktionieren oder sei es, weile es eine vom Webarchiv gesicherte Version gibt, so sind sie stumme Zeitzeugen des Aufstiegs und Falls der Blogosphäre, einer der hoffnungsvollsten, engagiertesten, enthusiastischsten und von einer Aufbruchsstimmung geprägten Phänomene einer noch gar nicht so lange vergangenen Zeit, in der das Mitwirken eines Einzelnen in Form eines Blogs oder anderer Formen der Beteiligung am Internet die interessante Summe des Gesamten erst möglich machte. Ja, es gab eine Zeit, in der die Meinung einer Person (veröffentlicht auf einem von dieser Person selbst betriebenen Blog) mehr Relevanz hatte als eine algorithmisch geboostete Position, deren Qualität nunmehr häufig nicht in der Nachvollziehbarkeit, Schlüssigkeit und Relevanz des Arguments, sondern in der Wahrscheinlichkeit der Interaktion, häufig mehr der Form als dem Inhalt geschuldet, lag.

RIP, textasylum.de! Und dir, Andreas, alles Gute für deinen weiteren Weg!

2 Kommentare

  1. Vielen Dank für den wirklich schönen Beitrag.

    Der Begriff Fernseh-Internet trifft es sehr gut. Für mich hat die Kommerzialisierung dazu geführt, dass Blogs immer mehr ihre Persönlichkeit verloren haben. Die Bloglandschaft besteht überwiegend aus SEO-Texten, die schon nach den ersten Zeilen ermüden. Auch wenn die Menschen nach wie vor persönliche Erfahrungsberichte schätzen, geben sie sich oft mit den ersten Suchmaschinenergebnissen zufrieden, die dann aus Listicles mit Affiliate-Links bestehen. Ambitionierte Privatblogger haben dagegen kaum eine Chance, denn solche Blogs nutzen professionelle SEO-Tools, die monatlich viel Geld kosten. Und das lohnt sich nur, wenn auch etwas reinkommt.

    In Blogs findet kaum noch ein Meinungsaustausch statt. Eigentlich sucht jeder nach Informationen und wenn man sie gefunden hat, wird schon wieder weitergesucht, ohne ein Kommentar zu hinterlassen. Meinungsaustausch findet heute vor allem auf Social-Media-Plattformen statt. Schließlich ist es einfacher, Herzchen oder Sterne zu vergeben, als einen Kommentar zu schreiben. Und das finde ich gar nicht mal so schlecht, denn so bekommt man wenigstens Feedback.

    Ich glaube schon, dass wir so etwas wie ein Fernseh-Internet haben. Seit es für jeden möglich ist, audiovisuelle Inhalte ins Netz zu stellen, ist das alles irgendwie Fernsehen, leicht konsumierbar, ohne selbst aktiv werden zu müssen. Texte zu lesen ist für manche schon eine Herausforderung, und das meine ich wirklich nicht böse.

    Ich persönlich lese lieber einen Text, als dem lustigen Influencer in einem YouTube-Tutorial zuzuschauen, bis er endlich zum eigentlichen Thema kommt, das mich interessiert.

    Ich persönlich mag all die privaten Blogs, die überlebt haben. Und ich glaube, dass sie ein leichtes Gegengewicht zum zukünftigen KI-Internet darstellen können. Das gilt speziell auch für Newsletter. Aber das wird die Zukunft zeigen.

    Persönlich mag ich Micoblogging und das Fediverse. Von daher habe ich einen neuen Account bei Mastodeon erstellt, ohne Bloghintergrund, über den ich über Audiothemen schreibe. Vielleicht wird es da auch noch einen Newsletter geben.

    Vielen Dank für deinen Beitrag. Dein Blog ist schon lange in meinem Feedreader und für mich immer wieder lesenswert.

    • Vielen Dank dir, Andreas, für die gute Zeit deines Blogs in meinem Feedreader! Und alles Gute für die audiofokussierte Zukunft!

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